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Montag, 30. Januar 2012

Kapitel 5


Ein Mädchen, in einer sehr seltsamen Aufmachung, griff nach meinem Arm und zog mich von der Gefahr weg. „Hast du sie eigentlich noch alle?“, fragte sie mich scharf. „Wolltest du dich umbringen oder wie?“ Sie sah mich kopfschüttelnd an. Ich sah mich kurz um. Mein Gott, der Ort hier war…unbeschreiblich! „Wo bin ich?“, fragte ich leicht stockend. Das trug mir einen ungläubigen Blick des Mädchens ein. „Du bist in London“, antwortete sie in einem sachlichen Ton. In London? Das war unmöglich. „Das ist nicht London“, erwiderte ich. „Gerade vorhin stand ich noch bei unserem alten Haus…im Zentrum von London.“ Da begann sie doch im Ernst zu kichern. „Wir sind im Zentrum von London, am Piccadilly Circus um genau zu sein.“ Ich blickte mich nochmal um und begann dann den Kopf zu schütteln. Was war hier nur los? „Das ist unmöglich“, murmelte ich. „Hmm...also ich kann nur noch wenig Informationen geben. Ich bin Callie und heute ist der 23. Oktober 2011. Das ist ein Samstag.“ Ich sah sie an, nein eher starrte ich sie an. Was redete sie da? Es war der 23. Oktober, das ohne jeden Zweifel, aber wir hatten das Jahr 1670! Ich schüttelte immer noch den Kopf, besser gesagt ich wusste nicht genau was ich tat. „Weisst du, ich bin nicht eine von denen die für solche Scherze zu haben sind. Ich bin weder dumm noch sonst irgendwas und ich weiss in welchem Jahr wir uns befinden“, zischte ich, drehte mich um und lief ziellos in die Menge. So viele Menschen! Und plötzlich fühlte ich eine Hand auf meinem Handgelenk. „Lass mich los!“, sagte ich halblaut, während ich mich noch umdrehte, aber Callie beachtete mich gar nicht. „Was hast du da vorhin gesagt? Wegen dem Jahr? Weil ich bin mir zu hundert Prozent sicher, was wir für ein Jahr haben.“  Das verwirrte mich immer mehr. „Nein, anscheinend nicht ganz. Ich bin mir nämlich sicher, dass wir im Jahre 1670 sind und nicht in irgendeinem anderen.“ Ich musterte sie. Was war das bloss für eine Verrückte, die nicht mehr locker liess? Und wo war ich nur? Ich konnte ja nicht innerhalb von Sekunden einfach so an einem völlig anderen Ort sein. Das war unmöglich! Schlicht und einfach unmöglich. Doch dann schaute ich mich nochmal um. Das hier war nicht das London, das ich kannte, es war…anders. Wo war ich hier nur gelandet? Ich spürte den Blick der Menschen. Sie beobachteten mich, als sei ich ein unglaublich seltenes Insekt. Callie zog kurz an meinem Arm. „Du bist tropfnass, komm doch kurz zu mir, hier Draussen ist es viel zu kalt. Und dort können wir auch reden.“ Ich musterte sie, konnte sie mir helfen? Dann nickte ich. Eine Wahl hatte ich ja dann auch nicht wirklich. Ich könnte natürlich auch hier bleiben, ohne nichts in einer Stad,t die ich nicht kenne. Das wäre wohl der absolute Alptraum. Sie begann sich durch die Masse zu schieben und ich folgte ihr. Hier gab es viel zu viele Menschen. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Aber ich war nicht zu Hause. Das war mir in der Zwischenzeit auch bewusst geworden. Aber dann bogen wir von der grossen Strasse ab und kamen in eine breite Gasse. Sie war sehr viel weniger belebt, was mich ein bisschen aufatmen liess. „Mein Vater ist in so einer bescheuerten Firma der Chef, und wir haben so das Glück ganz im Zentrum von London zu leben“, erklärte Callie und verdrehte die Augen. „Ich bekomm zwar alles, was ich will, aber meinen Vater sehe ich nie und meine Mutter ist vor 3 Jahren ausgezogen.“ Ich musste sie ansehen als hätte sie den Verstand verloren, denn sie fragte: „Was?“ „Deine Mutter ist ausgezogen?“, beantwortete ich ihre Frage mit einer Gegenfrage. „Darf man das überhaupt?“ Ihr entwischte ein kurzes Lachen. „Klar darf man das. Das ist sogar total normal.“ Sie grinste ein bisschen und öffnete eine Tür mit einem Schlüssel. „Komm rein“, sagte sie nur. Ich folgte ihr in den Wohnraum und blieb staunend stehen. Der Raum war wunderschön. Ich hatte noch nie einen solchen Raum gesehen. Die Wände waren mit grossen Fenstern bestückt, so dass viel Licht durch den Raum flutete und das Weiss der Wände, mich beinahe blendete. Die Einrichtung war richtig farbenfroh. Leider hatte ich nicht mehr Zeit mich umzusehen, denn Callie zog mich schon in den nächsten mysteriösen Raum. Er war hellrot und orange und wunderschön. Aber ich fragte mich für was dieses Zimmer gut war. „Ja, ich weiss, diese Wohnung ist übertrieben, vor allem da ich alleine hier lebe. Aber die Küche hat ihre Vorteile. So als einziges Zimmer hier“, erklärte Callie. Das hier war eine Küche? Ich sah mich nochmal um. Eine Küche… “Sieht handlicher aus als zu Hause“, murmelte ich nur. „Und bevor ich es vergesse, willst du was Trockenes zum Anziehen?“, fragte sie mich. Ich sah kurz an mir herunter. Mein Kleid war immer noch durchnässt. „Gerne“, sagte ich leise. Sie ging wieder aus der Küche raus und ich folgte ihr. Das nächste Zimmer, war viel kleiner und vollgestellter als die anderen. Aber immer noch wunderschön. Callie ging geradewegs zum Schrank und zog zwei Kleidungsstücke heraus. „Hier“, sagte sie und hielt sie mir hin. „Hosen und ein Pullover, brauchst du sonst noch was?“ Ich schüttelte den Kopf und sie liess mich einen Moment allein, damit ich mich anziehen kann. Ich hatte noch nie zuvor in meinem Leben Hosen getragen. Und es war bequem, viel besser als ein Kleid. Man konnte sich viel besser bewegen. Ich verliess das Zimmer wieder und sah das Callie auf mich gewartet hatte. „Also ich klinge jetzt wie eine Irre, ich weiss, aber wiederhole bitte, was du vorhin über das 17. Jahrhundert oder so gesagt hast“, befahl sie. Ich runzelte die Stirn. „Also wir leben im Jahr 1670. Es ist der 23. Oktober, ja, aber du sagtest irgendwas von einem völlig anderen Jahr“, erzählte ich. Daraufhin schwieg ich. Was soll ich auch sonst noch sagen? Das war alles was ich wusste. Während Callie einen Punkt an der Wand fixierte fing ich damit an, ein bisschen auf und ab zu gehen. „Das ist unmöglich!“, sagte sie und schüttelte ungläubig den Kopf. „Wir haben das Jahr 2011. Aber man hat dir richtig angesehen, wie dich die Dinge hier überrascht haben. Das macht keinen Sinn…“ Sie schwieg noch einen Moment und sah mich dann an. „Das ist wie in ‚Zurück in die Zukunft‘, nur dass dir nicht mal bewusst ist, wo du bist.“ Und plötzlich lächelte sie mich an. „Was ist?“, erkundigte ich mich vorsichtig. „Na ja, ich hatte eine völlig verrückte und unmögliche Idee, aber irgendwie klingt es gerade auch sinnvoll. Keine Ahnung was ich denken soll…, aber ich habe das Gefühl, für dich bist du jetzt in der Zukunft, oder die Zukunft wurde zur Gegenwart.  Wie auch immer, du das sagen willst. Es ist einfach die einzige Möglichkeit. Du kommst aus London, aber das London aus dem Mittelalter und nicht dieses London hier. Damals hat’s hier ziemlich anders ausgesehen.“ Während sie redete hatte ich wieder damit angefangen sie anzustarren und schüttelte jetzt auch ungläubig den Kopf. „Das kann nicht sein. Das geht nicht!“, flüsterte ich, eher zu mir selbst als zu ihr. Es war unmöglich, das stand fest. Aber an diesem Ort gab es viele Dinge die unmöglich waren. Auch Callie nickte zustimmend. „Schon, aber es heisst ja so schön: Nichts ist unmöglich. Und auch, wenn niemand erwarten würde, dass man es in so einer Situation sagen könnte, sagt man es.“ Das hier war aber unmöglich. Und ich wusste, dass ihr das bewusst war. „Angenommen ich hätte Recht, was würdest du als nächstes tun?“, erkundigte Callie mich mit  funkelnden Augen. Ich schüttelte den Kopf und lächelte. „Ich weiss nicht…versuchen mich in dieser Welt zu Recht zu finden, schätze ich.“ Callie stiess sich von der Wand ab, an die sie vorhin gerade noch gelehnt hatte und griff nach meiner Hand, um mich hinter ihr her, zurück in die Küche zu ziehen. „Dann machen wir das jetzt! Du wirst lernen was ein ganz normaler Mensch tut. Und als erstes gehen wir dafür einen Kaffee trinken.“ Sie musterte mich kurz. „Du brauchst noch Schuhe, eine Jacke und wir müssen etwas mit deinen Haaren machen, ansonsten starrt dich nachher jeder an.“ Sie drehte mich wieder um und zog mich in einen anderen Raum. „Das hier ist ein Bad.“, erklärte sie kurz. Dann griff sie nach einer Bürste und fuhr mir damit durch die Haare, die sie zuerst noch entwirren musste. Kurz darauf, fiel mir mein glattes, braunes Haar offen über die Schultern. „So, jetzt können wir gehen.“ Wir gingen wieder zur Tür, dort stellte sie mir Schuhe hin, ein Paar Stiefel wie man sie sonst nur zum Reiten trug. Ich schlüpfte hinein und dann noch in die Jacke, die sie mir hinhielt. „So, jetzt können wir gehen. Hier um die Ecke hat es einen Starbucks, da gehen wir jetzt hin“, erläuterte sie. „Und einfach: Benimm dich ganz normal.“ Ich nickte. Vielleicht hatte Callie ja Recht und ich war in einer anderen Zeit. Denn man hätte bestimmt, von diesen fahrenden Gefährten gehört, oder von diesem Licht, das ganz ohne Flamme leuchtete und noch von so viel anderem.
Nach einigen hundert Metern weiter, öffnet Callie eine Tür und wir betreten einen grossen Raum. „Ich bestell für dich, ok?“, fragte sie und ich antwortete mit einem Nicken. „Danke. Und…ähm ich habe nichts womit ich bezahlen könnte…“ Ich biss mir auf die Lippen. Ich kam mir gerade ziemlich blöd vor. „Ich weiss“, antwortete sie mir. „Ich werde bezahlen, das ist kein Problem.“ „Danke“, wiederholte ich. „Keine grosse Sache. Echt“, sie grinste mich an. Und dann bestellte sie und zog mich zu einem etwas erhöhten Tisch. „Hier geben sie uns unsere Kaffees“, erklärte sie mir. Ich riss die Augen auf. „Und das funktioniert? Ich meine, wird da nichts gestohlen oder so?“, fragte ich schockiert. Da sollte unheimlich viel Geld einfach so verschwinden…Doch schon streckte sie mir einen Becher hin. „Hier, aber Vorsicht, der ist heiss.“ Ich griff achtsam nach dem Becher und hielt ihn einen Moment in der Hand. Und jetzt? Die Frage musste mir im Gesicht stehen, denn Callie lachte und griff nach meinem Arm. „Komm hier ist es viel zu voll“, sagte sie und lief aus dem Café. Nach nur wenigen etwas schmaleren Strassen, stand sie an einem Tor. „Das hier ist einer der Parks. Also, es gibt kaum noch so was wie Natur und Pflanzen und so hier, also haben sie solche Parks gemacht in denen es Rasenflächen und Bäume gibt, um sich zu entspannen und so. Es gibt ganz viele. Ich komme oft hier- her“, erläuterte sie mir und deutete  zum Teich. „Wenn du weisst wo, dann gibt es einige abgelegene Orte, wo man auch mal allein sein kann, wenn es sein muss.“ Sie lächelte. „Wenn du Abstand von dem ganzen Stress hier Draussen brauchst.“ Wir setzten uns beide auf eine Holzbank und ich nahm mal probeweise einen Schluck von dem Gebräu. Es war heiss und ein wenig bitter, aber es schmeckte irgendwie einfach köstlich, auf seine ganz eigene Art. Ich hatte noch nie zuvor Kaffee getrunken. Das war ein Getränk für Männer der Mittelschicht. Und dazu gehörte ich nicht. Mir blieb ein bitterer Nachgeschmack im Mund, aber trotzdem…Kaffee war köstlich und das wurde nur noch besser durch das Gefühl von innen her, gewärmt zu werden. Ich lächelte und sah mich um. Es rannten ein paar kleine Kinder herum, obwohl es schon kälter war und einige Personen etwa in meinem Alter spazierten herum. Was mich dabei vor allem erstaune, war, dass alle, auch die Mädchen, meist blaue Hosen trugen. Und das schien für niemanden ein Problem zu sein. Ich sah zu Callie rüber, die mich mit einem leichten Lächeln auf den Lippen beobachtete. „Erzähl mir ein wenig von deiner Zeit“, bat ich sie. „Wie lebst du?“ und Callie begann zu erzählen: „Also, erstens ich bin 16 Jahre alt und lebe allein mit meinem Vater. Ich gehe jeden Tag ausser samstags und sonntags zur Schule. Für die Schule muss ich diese nützliche und hässliche Uniform anziehen. Meine Freizeit verbringe ich mit meinen Freunden, das ist völlig normal in meinem Alter. Wir gehen ins Kino einen Film schauen…das ist so was, wie ein Theaterstück einfach moderner, oder gehen einen Kaffee trinken, Kleider einkaufen, verbringen einfach Zeit miteinander und reden. Ich bin sicher ein bisschen davon kennst du. Das ist normal für mein Alter.“ Sie lächelte. „Ich kann dir das alles beibringen, wenn du willst, keine Ahnung wieso, aber ich mag dich und ich habe das Gefühl, ich muss das machen. Dir helfen und so, mein ich.“ „Das würdest du echt tun?“, fragte ich sie leise. „Hab ich ja gerade eben gesagt. Und ich meine es ernst. Man merkt ja, dass du nicht von hier bist“, erwiderte sie. Und jetzt lächelte ich, oder besser gesagt strahlte ich. Das hörte sich merkwürdigerweise wunderbar an. Es war, als wäre hier der Ort, an dem ich mir immer erträumt hatte, zu leben. Und vielleicht war nicht alles perfekt, aber es war besser als die Aussichten, die ich bei dem Herzog gehabt hätte.

Kapitel 4


Am nächsten Morgen wurde ich von einem Klopfen geweckt. Verschlafen blinzelte ich und rieb mir den Schlaf aus den Augen. Während ich zur Tür spähte, hörte ich Schritte rein kommen. Die Kerze flackerte und langsam erblickte ich ein Gesicht. Es war ein junger Mann. Jünger als der Herzog, mit einem grossen Lachen auf den Lippen und erwartungsvollen Augen.  „Hola Signora“, begrüsste er mich. „Ich freue mich schon sehr auf den heutigen Tag mit Ihnen. Falls man es Ihnen noch nicht mitgeteilt hat, wir werden uns heute um Ihr Hochzeitskleid kümmern“, erklärte er mir mit einem mir unbekannten Akzent. Das Hochzeitskleid, schoss es mir in den Kopf, heute schon? Ich war doch erst seit gestern hier. Wieso hat es der Herzog so eilig mich zu seiner Frau zu machen? „Kleiden Sie sich bitte schnellst möglich an. Ich leg Ihnen ein paar Kleidungsstücke raus. Kommen Sie dann hinunter in den Empfangssaal, ich werde dort auf Sie warten.“ Während er mit mir sprach, ging er zu meinem Schrank und zog beliebige Kleider raus, nur um sie dann wieder hinein zu hängen.  „Das ist es!“, rief er plötzlich aus. Er nahm ein Kleid aus dem Schrank und legte es vorsichtig auf den Tisch. Während er sich verabschiedete und mich nochmal ermahnte nicht zu trödeln, stieg ich aus der wohligen Wärme in die unangenehme kalte Luft und lief zum Tisch. Das Kleid war wunderschön. Es war in einem feinen rosa Samt gehalten und hatte am unteren Rand ein kompliziertes Spitzenmuster.  Das Korsett war in einem dunkleren rosa gehalten als der Rock. Am oberen Rand des Korsetts befand sich ebenfalls Spitze, die aber eher schlicht gehalten war. Doch nun wanderte mein Blick auf den Übergang vom Korsett zum Rock. Das Korsett lief nach unten spitz über den unteren Rock und war mit Perlen übersät. Muss das teuer sein, schoss es mir durch den Kopf. Das mein Verlobter mir so ein wunderschönes Kleid schenkte, war sehr grosszügig. Vielleicht wollte er aber auch mit mir angeben? Man weiss nie, bei den Herzögen. Auf jeden Fall liebte ich das Kleid und ich nahm mir vor, Abby davon zu schreiben. Während ich weiter das Kleid bestaunte, kam mir der Gedanke, dass ich mich jetzt besser auf den Weg nach unten machte. Ich entledigte mich meiner Schlafrobe und zog dann das Kleid an. Es passte wie angegossen. Leider fand ich in meinem Gemach keinen Spiegel und so konnte ich mich nicht anschauen.

Auf dem Weg nach unten liefen mir mehrere Diener über den Weg. Sie alle hielten an, machten einen kurzen Knicks, bzw. eine Verbeugung und liefen dann schnell weiter. Als ich unten ankam, wartete der Schneider schon. Ob er wirklich ein Schneider war, wusste ich noch nicht, doch er sah zumindest wie einer aus. „Da sind Sie ja! Ich dachte schon Sie kommen nicht mehr“, sagte er mit einem strengen Blick. Er sah mit diesem Blick, sehr amüsant aus, denn sein junges Gesicht war nicht wirklich für so einen Blick geschaffen. Während er mich weiter beäugte, konnte ich nicht anders und vergass alle Regeln. Ich prustete laut los und er mit mir. Während wir uns versuchten zu beruhigen, kam ein Diener mit einem harten Gesichtsausdruck vorbei. Er sah uns an, schüttelte den Kopf und lief weiter.  Ich hörte noch wie er etwas in seinen Schnauzer murmelte, danach war er bereits um die Ecke verschwunden. Ich sah mein Gegenüber an. Er schmunzelte nur und erklärte mir dann,  wo er mich hinbringen würde. „Also meine Liebe, wie Sie schon wissen, werden wir uns heute um Ihr Hochzeitskleid kümmern, das sich in meinem Atelier in London befindet.“  In seinem Atelier? Na gut, dann hoff ich mal das es nicht zu langweilig wird. „Was genau werden Sie denn mit mir machen? Meine Masse haben Sie bereits und ich glaube nicht, dass sie das Kleid schon fertig haben.“ Er sah mich ungläubig an. „Also bitte, hören wir auf mit dem Siezen, dadurch fühl ich mich so alt und zweitens hast du schon mal was von Signore Gonsalez gehört?“ Ich schüttelte den Kopf.  „Sind… ähh Entschuldigung, bist du das?“, fragte ich vorsichtig. Er nickte und erwiderte dann; „Ich bin Signore Gonsalez, der bekannteste Schneider von ganz England. Natürlich hab ich dein Kleid bereits fertig geschneidert. Was meinst du wieso ich diese dunklen Ringe unter den Augen habe? Wegen deinem Kleid. Ich musste es schliesslich nur noch schneidern. Die Skizzen waren schon lange fertig.“ Welche dunklen Ringe, fragte ich mich. Man oder besser gedacht ich sah nichts. Während er mich mit sich zog, stolperte ich nach Draussen. Die Sonne drückte durch die Wolken und es wurde langsam wärmer. Obwohl wir uns bereits im Spätherbst befanden, war das Wetter so wechselhaft, wie sonst nur im Frühling. Plötzlich blieb er stehen und ich prallte in ihn hinein. Er drehte sich um und zeigte mit einer einladenden Begegnung auf eine kleine Kutsche. „Das ist meine“ erklärte er stolz.  Ich musterte die Kutsche genauer. Sie war nicht nur klein, sondern winzig und sie schien schon bessere Zeiten gesehen zu haben. Mein Blick wanderte zum Pferd. Naja, es war eigentlich kein Pferd, sondern Etwas kleines graues, das schon sehr alt aussah.  Das graue Etwas bewegte sich und schaute mich an. Seine Augen wanderten traurig umher und ich merkte erst jetzt, dass es sich um einen Esel handelte.  „Mr. Gonzales, ich hätte eine kleine Frage an dich. Wie alt ist das Tier?“ Er wendete seinen Blick mir zu. „Alt, würde ich mal sagen. Leider ist mein Pferd vor zwei Jahren gestorben und ich musste mit dem Esel vorlieb nehmen.“ Kann er sich kein neues Pferd leisten, kam mir der Gedanke, scheinbar nicht. Er nahm meine Hand und zog mich in die Kutsche. Von innen sah sie nicht besser aus. Der rote Samtvorhang hing vergilbt vor den Fenstern. Das Leder auf dem Sitz sah aus, als ob schon zu viele darauf Platz genommen hätten und  bei der kunstvollen Verzierung blätterte die Farbe ab. „Wieso hast du dir kein neues Pferd besorgt? Ich meine, wenn du wirklich so bekannt bist, solltest du doch nicht in so einer „schäbigen“ Kutsche fahren?“ Er nickte nur. „Weisst du, das Pferd, das gestorben ist, mit dem bin ich von Spanien, hier her gekommen. Mein Vater hat es mir geschenkt. Ich kann ihn nicht einfach ersetzen. Verstehst du, was ich meine? Und der Esel ist eigentlich gar nicht so schlecht. So erkennt mich zumindest keiner, wenn ich durch die Gegend fahre.“ Ich wusste was er meinte. Ich könnte mir meinen Vater auch nicht mit einer anderen Frau an seiner Seite vorstellen als meiner Mutter. Auch wenn ein Mensch vielleicht etwas anders ist als ein Tier, aber trotzdem.

Die Fahrt dauerte länger als ich gedacht habe. Während Mr. Gonzales angefangen hatte eine neue Skizze zu skizzieren, waren meine Augen nach Draussen gewandert. Ich schaute die vielen Bäume an, als wir durch einen Wald fuhren. Später waren es die Häuser, die meinen Blick gefangen hielten. Sie waren zum Teil klein und armselig und dann wieder gross und manchmal strotzten sie nur so vom Reichtum ihrer Herrschaften. Die Zeit verging recht schnell und so kam es, dass ich gar nicht bemerkte, wie die Kutsche anhielt.  Durch ein leichtes rütteln an der Schulter, riss ich meine Augen von einem besonders komischen Haus weg. Es war klein, hatte aber eine wunderschön goldige Verzierung an der Fassade. Der Hausherr trat gerade aus der Tür und schaute die Kutsche missbillig an. Er war klein und dick. „Wieso stellen sie ihre armselige Kutsche vor meinem Anwesen ab?“, schrie er zu uns rüber. Ich stieg aus und Signore Gonzales lief zu ihm rüber. „Ich bin Signore Gonzales und Sie sollten mich eigentlich kennen, schliesslich hab ich das Hochzeitskleid für Ihre Frau gemacht“, sprach er und machte kehrt. Als er wieder bei mir war, nahm er meine Hand und führte mich in ein kleines Häuschen. Als ich nochmals nach dem Mann schaute, stand der ganz verdutzt vor seiner Tür und schien nicht mehr zu wissen, was er genau tun wollte. Im Innern des Hauses standen überall die verschiedensten Stoffe. Naja, sie standen nicht unbedingt, sie lagen kreuz und quer über dem Boden verstreut, zum Teil stehend zum Teil liegend. Während meine Augen weiter den Raum durchsuchten, stolperte ich über einen purpur roten Stoff und fiel direkt in einen Berg Papier. Das Papier zerriss und ich bemerkte erst jetzt, dass es sich um Skizzen handelte. Ich blickte zu ihm hinauf. Er hatte seine Hände über dem Kopf zusammen geschlagen und sein Gesicht lief langsam rot an. Es wurde immer roter und dann prustete er los. „Zum Glück waren das alte Skizzen“, brachte er unter Lachen hervor. Sein Gesicht nahm langsam wieder eine normale Farbe an und er streckte mir die Hand hin, um mir auf zu helfen. Ich nahm sie und er zog mich hoch. Leider waren unter meinen Füssen ein paar Fadenspulen, die ich vorher nicht bemerkt hatte. Natürlich rutschte ich wieder aus und landete diesmal vor einem riesigen Kissen mit Nadeln drin. Wäre ich auch nur ein paar Zentimeter weiter vorn gelandet, würde mein Gesicht jetzt in den Nadeln stecken. Ich stand nochmal auf und schafft es diesmal nicht umzufallen.  Mr. Gonzales, ich musste ihn dringend mal nach seinem Vornamen fragen, zeigte auf einen Stuhl. Ich setzte mich und wartete. Er holte einen weissen Stoff und nahm die Skizzen vom Tisch. Nachdem er mir die Skizzen reichte, machte er sich an einer der Stoffpuppen zu schaffen. Ich schaute mir die Skizzen an. Sie waren wunderschön und zeigten ein Kleid aus verschiedenen Perspektiven. Auf dem ersten Blatt sah man es von vorn. Mr. Gonzales hatte mit nur wenigen Strichen ein perfektes Kleid gezeichnet. Es erinnerte mich an eine Elfe aus den Märchen, die mir meine Grossmutter immer erzählt hatte. Die Elfe hatte ein ähnliches Kleid getragen. Der einzige Unterschied war, dass ihres rosa war und meines weiss sein wird. Unter der Brust befanden sich lauter Steine, wahrscheinlich Rubine, da diese für Reichtum standen. An den Oberarmen befand sich ein kleines Stoffpölsterchen, das ebenfalls mit Rubinen besetzt war. Das korsettartige Oberteil verlief in einen breiten Rock. Er bestand aus einem etwas dunklerem Weiss. Ein paar der weisseren Stoffstreifen verliefen über den Rock. Für mich sah das ganze Kleid aus, wie wenn man eine Blume von unten anschaut.  Auf dem zweiten Blatt sah man es von hinten. Das Unterteil verlief zu einem langen Schleier zusammen und die Rubine bildeten hinten ein Herz. Wenn man das Oberteil aufmachte, dann befanden sich auf den zwei Teilen, jeweils eine Seite des Herzens. Der Verschluss bestand aus kleinen Perlknöpfen, die das ganze Korsett bedeckten.  Auf dem letzten Skizzenblatt befanden sich meine Schuhe.  Sie hatten einen kleinen Absatz, der etwa  eins, vielleicht zwei Zoll hoch war und schauten aus wie Stiefel. Die Bänder, die sich um etwas zu ranken schienen, waren aus Samt, so stand es zumindest auf dem Blatt. Wobei man die Schrift nicht wirklich gut entziffern konnte. Ich blickte wieder von den Skizzen hoch. Das weisse Etwas stellte sich als mein Kleid heraus. Er hatte es in der Zwischenzeit der Stoffpuppe angezogen. Ich blickte mich suchend um. Wo waren die Schuhe? „Wo genau hast du denn die Schuhe hingestellt?“, fragte ich neugierig. „Die sind noch nicht fertig. Ich hab es dir doch gesagt. Ich habe die ganze Nacht an den Skizzen und dem Kleid gearbeitet. Die Schuhe muss zuerst der Schuhmacher machen, bevor ich sie weiter verarbeiten kann“, erklärte er dann.  Ich liess meinen Blick wieder zum Kleid schweifen. In Wirklichkeit sah es so viel schöner aus, als nur auf der Skizze. Vollkommen fasziniert stand ich auf und lief langsam darauf zu. Meine Hand fuhr vollkommen automatisch über den Stoff. Er war weich, geschmeidig und duftete herrlich. Die Steine waren tatsächlich Rubine und glänzten im schwachen Licht der Sonne. „Gefällt es dir?“, hörte ich eine Stimme hinter mir. Ich drehte mich um und sah in das erwartungsvolle Gesicht des Schneiders. „Es … ist …. wunderschön“, brachte ich stocken heraus. Nun strahlte er. „Dann bin ich ja froh, sonst hätte ich die ganze Nacht umsonst gearbeitet. So, dann kommen wir jetzt zu unserer heutigen Aufgabe. Du sollst das Kleid anprobieren und dann schauen wir mal, ob du dadrin tanzen kannst.“ „Tanzen?“, entfuhr es mir ein bisschen zu laut. „Ja tanzen. Du kannst das doch, oder?“ Ich nickte. „Gut, dann zieh dich doch bitte hinter dieser Wand aus.“ Er zeigte auf eine Trennwand, die mitten im Zimmer stand.

Während ich mich auszog, trat er vor die Wand und legte mein Hochzeitskleid darüber.  Ich nahm es und schlüpfte vorsichtig hinein. Das Ganze erwies sich schwieriger als gedacht, doch es ging einigermassen. Nun  kam mir das nächste Problem in den Sinn. Wie sollte ich die Perlenknöpfe zumachen? „Kannst du mir helfen, es zu schliessen?“, fragte ich ihn ein wenig ängstlich. Er kam mir sofort zur Hilfe und machte langsam Knopf für Knopf zu. Nachdem er es hinter sich gebracht hatte, nahm er meine Hand und zog mich vor einen Spiegel. Ich sah wunderschön aus. Fast wie meine Mutter, damals an ihrer Hochzeit. Früher hatten wir ein Gemälde auf dem mein Vater mit meiner Mutter, an ihrem Hochzeitstag abgebildet war. Leider ist es verbrannt. Während ich mich im Spiegel musterte, bemerkte ich wie Mr. Gonzales sich eine Träne aus dem Augenwinkel wischte. Wieso weinte er? „Was hast du? Ich meine warum weinst du?“ „Du siehst nur so umwerfend in diesem Kleid aus. Ich habe mich wieder mal selbst übertroffen!“, brachte er schluchzend hervor.  Er hatte recht. Das Kleid passte wie angegossen, selbst dem Herzog müsste es gefallen. Während ich mir das Kleid mit den Schuhen vorstellte, klopfte es an der Tür.  „Sie müssen sofort kommen. Das Kleid, das Sie für meine Frau gemacht haben, passt ihr nicht mehr. Sie hat zugenommen und sieht jetzt nicht mehr umwerfend aus, in dem Kleid. Deshalb, bitte ich Sie, jetzt in diese Kutsche zu steigen und zu mir zu fahren. Falls Sie noch einen anderen Kunden haben, tut mir das leid, aber die Hochzeit findet morgen statt“, sprach eine tiefe Stimme. Ich schaute Mr. Gonzales an. Er liess mich doch jetzt nicht alleine, oder? „Es tut mir leid, aber ich muss mit diesem Herrn mitgehen. Behalten Sie das Kleid an und bewegen Sie sich ein bisschen oder tanzen Sie mit sich selbst, was Ihnen lieber ist. Ich komme so schnell wie möglich wieder zurück. Bleiben Sie einfach hier.“ Wieso sprach er mich wieder mit “Sie“ an? Ich nickte und versteckte mich dann vor den neugierigen Blicken des Herren, mit dem er jetzt mitging. Ich hörte noch, wie er ihm etwas zu murmelte, doch ich konnte nicht genau verstehen was. Nun war ich alleine. Während ich durch ein Fenster schaute, bemerkte ich, dass mir diese Umgebung bekannt vor kommt. Ich hatte hier meine Kindheit verbracht. Während ich alle Anweisungen vergass, die Mr. Gonzales mir gegeben hatte, stürmte ich nach Draussen und lief zu unserem alten Haus. Es war weiter entfernt als ich gedacht hatte und ohne Schuhe war es nicht die beste Idee, aber was machte es schon. Dann hatte ich eben dreckige Füsse. Während ich immer weiter lief, merkte ich nicht, wie meine Füsse immer mehr schmerzten. Ich wurde langsamer und blieb schliesslich stehen. Ich schaute mich um. Hier, war es, als mein Vater mich schnappte und vom Feuer weg brachte, aber wo hat das Haus gestanden? Ich lief noch ein paar Schritte weiter und setze mich schliesslich auf den Boden, dass mein Kleid schmutzig wurde, war mir in diesem Moment egal. Während ich weiter an die glücklichen Zeiten mit meiner Familie dachte, kamen mir die Tränen.

Da sass ich nun. Weinend, nur mit meinem Hochzeitskleid am Rande des Weges. Hier muss es gewesen sein. Hier war mein altes Haus und hier liegen mein Bruder und meine Mutter begraben. Ich schaute zum Himmel hinauf. Die strahlende Sonne war verschwunden und der Himmel war jetzt von dicken schwarzen Wolken bedeckte. Es fängt jeden Moment an zu Regnen, schoss es mir durch den Kopf. Da ging es auch schon los. Die Schleusen öffneten sich und der Himmel leerte seine schwere Wasserladung direkt auf mich runter. Ich war bis auf die Knochen nass. Von der Kälte lag ich schlotternd auf dem Boden, meine Knie zu mir raufgezogen, die Arme um die Beine geschlungen. Und da fiel ich, so fühlte es sich zumindest an. Als ob man immer tiefer fallen würde. Während ich meine Augen vor schreck zukniff, spürte ich einen Wind, der mir mein Kleid und die Haare wieder trocken blies. Plötzlich hörte das Gefühl auf und ich hörte tausend Geräusche auf einmal. Da waren Stimmen und etwas anderes. Es hörte sich an wie Musik, auch wenn es nicht wie eine Geige oder ein Klavier klang. Und da war noch etwas. Ich wusste nicht genau was, aber es war laut und kam immer näher. Ich stand auf und sah etwas auf mich zu schlittern. Es war so rot wie Blut und es quietschte. Da blieb es stehen. Wäre es auch nur ein paar Zentimeter weiter auf mich zugekommen, hätte es mich berührt.

Montag, 16. Januar 2012

Kapitel 3



Die Woche verging wie im Flug, dachte ich, während ich die Wäsche zusammenlegte. „Emilie“, wurde ich von Vater aus meinen Gedanken gerissen. „Komm doch bitte, mit deiner gepackten Tasche, runter“, redete er weiter. „Ich komme gleich zu Ihnen runter, Vater“, erwiderte ich ihm. Während ich noch meine letzten Habseligkeiten zusammen packte, wanderten meine Gedanken schon wieder weiter zu meinem Zukünftigen. Wie er wohl war? Liebevoll oder doch grausam und brutal? Plötzlich kam Missy zu mir. Sie schmiegte sich an mein Bein und ich nahm sie zu mir hoch. Während ich mit ihr in der einen Hand und der Tasche in der anderen Hand, die Treppe runter ging, hörte ich Vater mit einer mir bereits bekannten Stimme diskutieren. „Hören Sie, sie kann die Katze nicht mitnehmen. Der  Herzog mag keine Katzen. Also tun Sie mir den Gefallen und lassen Sie sie da“, erklärte der Bote. Mein Vater wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als er mich sah. Sein Blick war traurig und er gab die Diskussion wohl auf. Der Bote drehte sich nun zu mir um. Als er mich sah, mit Missy auf meinen Arm, wurde sein ernster Blick weich. Seine Augen verloren an Härte und er sagte zu mir: „Steigen Sie in die Kutsche. Ihre Katze können wir leider nicht mitnehmen. Der Herzog erwartet Sie morgen.“ Während sich in meinen Augen Tränen sammelten, wurde sein Blick nochmal viel weicher. Er musste tief in sich drin, ein guter Mensch sein, dachte ich. Vater zog mich sanft nach draussen. Dort erwarteten mich Louis und Abby. Während Abby mich sanft in ihre Arme zog und mir dann vorsichtig Missy wegnahm, gab Louis mir ein kleines Päckchen. Es war in wunderschönen Blättern eingewickelt. „Danke“, sagte ich ihm mit Tränen in den Augen. Als ich mich Abby zuwandte, lächelte sie mich an. Auch sie hatte Tränen in den Augen. Meine kleine Katze schmiegte sich nun an sie und begann zu schnurren. In diesem Moment begriff ich, dass ich Missy ihr anvertrauen konnte. „Könntest du auf sie aufpassen?“, fragte ich mit einer viel zu zittrigen Stimme. Sie nickte nur, ihren Tränen hatte sie in der Zwischenzeit freien Lauf gelassen. Während ich sie zum Abschied nochmal umarmte, steckte sie mir einen kleinen Zettel, in die löchrige Manteltasche. Ich strich Missy nochmal über den Kopf,  warf Louis einen letzten sehnsuchtsvollen Blick zu, in den ich alle meine Gefühle für ihn legte und stieg schweren herzens ein. Vater folgte mir und der Bote stieg vorne auf den Platz des Kutschers. Während wir holpernd davon fuhren, liefen mir die Tränen über die Wangen. Vor Louis konnte ich mich noch davor Bewahren los zu weinen, doch nun kamen sie einfach. Vater strich mir langsam über den Rücken, während ich immer wieder Missy’s Namen schluchzte.

Nachdem ich mich wieder einigermassen unter Kontrolle hatte, wanderten meine Gedanken zurück an den Tag, an dem ich den Kürbiskuchen backte. Louis kam am Abend, wie abgemacht, kurz vor Sonnenuntergang vorbei. Ich wollte ihm ein Stück Kuchen abschneiden, doch statt in den Kuchen, schnitt ich mir in den Finger. Er war sofort bei mir und drückte mir ein Tuch, auf den blutigen Finger. So nah, wie in diesem Moment, waren wir uns noch nie. Ich wusste nicht, wie lange wir so dagestanden haben, doch er liess viel zu schnell wieder von mir ab. Mein Finger hatte aufgehört zu bluten und er bot mir an, den Kuchen zu schneiden, so dass ich mich nicht nochmal schnitt. Ich setzte mich also hin und er reichte mir mein Stück. Als er sich ebenfalls gesetzt hatte, probierte er ein bisschen. Er schaute mich an und sagte zuerst nichts. Als ich ihn immer noch erwartungsvoll anschaute verhaspelte er sich beim Sprechen: „Also der Kuchen ist wirklich super… ich meine er ist wirklich gut… eigentlich ist es der beste Kuchen den ich je gegessen habe.“ Sein Lob machte mich Stolz und meine Wangen wurden augenblicklich rot. „Danke“, erwiderte ich ziemlich verlegen. Er lachte nur noch mehr. Sein Lachen war wunderschön und ansteckend. Nach ein paar Sekunden, in denen wir uns in die Augen geschaut haben, fingen wir beide lauthals an zu lachen. Bei dem Gedanken daran musste ich lächeln. Als mir dann wieder einfiel was danach geschah, wurde mein Lächeln nur noch grösser. Während wir lachten, sind wir immer näher zusammen gerückt. Schlussendlich waren wir uns wieder so nah, wie vorher als ich mir in den Finger geschnitten hatte. Diesmal rückte er nicht von meiner Seite. Er war sich meiner Nähe zuerst gar nicht bewusst, bis wir hinter uns ein Räuspern hörten. Er liess mich auf der Stelle los und verschwand schnell ans andere Ende der Küche. Als ich mich umdrehte, sah ich Abby im Eingang stehen. Sie musste sich zusammenreissen, um nicht laut los zu prusten. Ihr Gesicht lief langsam rot an und sie schien förmlich zu explodieren. „Ich wollte euch nicht erschrecken und auch nicht stören.“, brach sie unter Lachen hervor. Ich schaute zu Louis. Er schien sichtlich verwirrt von ihrer Gestalt. Ich lief auf ihn zu und zog ihn sanft zu ihr. „Louis das ist Abby, Abby das ist Louis“, stellte ich sie einander vor. Sie schaute ihn nur an und flüsterte mir dann zu: „Seine Augen, die sind wirklich aussergewöhnlich.“ Ich nickte ihr nur zu.

Während ich an diese Szene dachte, schossen mir schon wieder die Tränen in die Augen. Vater schaute mich fragend an. Ich schüttelte nur den Kopf und versuchte nicht mehr an letzte Woche zu denken. Ich kuschelte mich in meinen Mantel und versuchte zu schlafen. Während ich meine Hände in die Manteltaschen steckte, bemerkte ich den kleinen Zettel von Abby wieder. Ich nahm mir vor, ihn in einer ruhigen Minute zu lesen. Während ich in an die wunderschöne Zeit mit Abby dachte, fielen meine Augen langsam zu.

Ich wachte durch ein sanftes Rütteln an meiner Schulter auf. Die gleichmässige Bewegung stoppte, als er sah, dass ich langsam wach wurde. Als ich meine Augen öffnete, sah ich in die sanften Augen meines Vaters. „Emilie, du musst aufwachen. In einer guten halben Stunde sind wir da.“, sagte er mir. Als ich mir den Schlaf aus den Augen rieb, bemerkte ich, dass das Päckchen von Louis aus meiner Tasche gefallen ist. Ich steckte es schnell wieder rein, so dass es ziemlich weit unter meiner Kleidung verborgen blieb. Vater beobachtete mich schweigend. Er sagte nichts, als ich mich wieder zurück lehnte und ihn fragend anschaute. Die halbe Stunde verging wie im Flug. Als die Kutsche langsamer wurde, zog ich die Vorhänge vor dem Fenster auf und schaute auf das mir altbekannte London. Die Häuser waren wieder neu gebaut worden, so dass man vom Feuer nichts mehr bemerkte. Mein Blick wanderte zu Vater, der gespannt aus dem Kutschenfenster sah. Sein Gesicht veränderte sich von Minute zu Minute. Zuerst spiegelte es Überraschung, dann Verwunderung, Vorfreude und zum Schluss Stolz wider. Der Stolz blieb und ich wunderte mich, wieso er so stolz war. Ich meinte, er war sicher nicht stolz auf mich. Vielleicht auf sich selbst? Auf jeden Fall hielt die Kutsche nun vor einem wunderschönen Garten an. Der Bote öffnete die Türe und Vater ging raus. Ich packte meine Sachen wieder ein und schaute nochmal nach, dass ich auch alles wieder eingepackt hatte. Vater reichte mir die Hand und ich stieg aus der Kutsche.

Ich liess meinen Blick kurz durch die Umgebung schweifen und lächelte dann. Es sah ganz hübsch aus. Es hatte ein paar grosse Wiesen und Beete, wo es im Frühling und im Sommer bestimmt Blumen gab. Aber dann fiel mir wieder ein, warum ich hier war, und das wischte mir das Lächeln sofort aus dem Gesicht. Ich seufzte kurz und folgte dann meinem Vater. Ich hatte ja keine Wahl.  Der Dienstbote zeigte zuerst meinem Vater und dann mir den Weg zu unseren Gemächer. Ich betrachtete das Haus von innen und es erinnerte mich an so viele Kindertage, wo ich mit meinem Bruder in einem ähnlichen Haus gespielt hatte. Und später an Festen meiner Familie teilgenommen hatte. Aber das lag nun doch schon eine Weile zurück. Der Dienstbote öffnete eine Tür und liess mich eintreten, bevor er mir folgte. „Eure Gemächer Miss“, sagte er. „Man wird Sie in etwa einer Stunde für das Abendmahl abholen, es steht eine Wanne mit warmem Wasser bereit und im Schrank hat es Kleider. Wenn Ihr Hilfe beim Ankleiden braucht, zögert nicht uns zu rufen.“ Er deutete bei seinen letzen Worten auf  eine beinahe winzige Glocke an der Wand. Ich nickte und bedankte mich kurz. Als er gegangen war, eilte ich zu der Wanne und liess mich kurz darauf in das warme Wasser gleiten. Ich hatte schon ewig kein Bad mehr genommen und es war einfach nur herrlich im warmen Wasser zu sein und sich zu entspannen.

Während ich in dem warmen Wasser lag, wünschte ich mir, dass Missy jetzt bei mir sein könnte. Ihr schwarzes Fell und der dicke Bauch, mit den Kleinen drin. Ich musste Abby einen Brief zukommen lassen. Hoffentlich schreibt sie mir, wenn die Kleinen auf der Welt sind. Als ich an Abby’s Lachen dachte, kam mir der Brief wieder in den Sinn. So schnell es ging, sprang ich aus der warmen Wanne. Das Wasser schwappte über den Rand und der Boden wurde rutschig. Ich schnappte mir das Handtuch, wickelte mich ein und ging aus dem Waschraum. Meine Sachen lagen immer noch auf dem Boden. Ich nahm den Mantel und langte in die Tasche. Sobald ich den Brief zu fassen bekam, liess ich den Mantel fallen und setzte mich aufs Bett. Wie weich es war. Mit zittrigen Händen faltete ich es langsam auseinander.

Liebe Emilie

Ich hoffe, dass es dir beim Herzog gefällt. Wir werden dich besuchen kommen.

Ob es deinem Herzog gefällt, wissen wir nicht. Aber wir wissen, dass wir dich sehr vermissen werden, besonders Louis. Er hat gesagt, ich soll dir ganz liebe Grüsse ausrichten.  Da ich mir gedacht habe, dass du mir Missy überlässt, falls du das nicht getan hast, wird das hier ganz schön peinlich, verspreche ich dir, dass ich mich ganz gut um sie kümmern werde. Ihre Jungen werden bald das Licht der Welt erblicken. Ich lasse dir eine Nachricht zukommen, wenn sie da sind.

In Liebe, deine Freundin Abby

Während des Lesens, kamen mir die Tränen. Sie tropften, auf das ohnehin schon sehr dünne Papier und die Tinte zerfloss. Nur mit Mühe konnte man die Wörter jetzt lesen. Doch das war mir egal. Neben meinem Bett stand eine kleine Kommode mit einem Schubfach darin. Ich zog es auf und legte den Brief vorsichtig hinein. Während ich mir mein Gemach genauer anschaute, kam mir Louis Geschenk wieder in den Sinn. Als ich meine Manteltaschen durchsuchte, merkte ich, dass es nicht hier war. Wo war sein Geschenk? Hat Vater es mitgenommen? Oder war es mir in der Kutsche aus der Tasche gefallen? Ich suchte verzweifelt weiter, als es an der Tür klopfte. „Emilie“, hörte ich Vaters Stimme. Er machte die Tür auf und kam rein. Ich sprang in mein Bett und kroch unter die Decke. „Was machst du in deinem Bett“, fragte er mich. „Ich habe nur ein Tuch um mich gewickelt, Vater. Was wollen Sie denn von mir?“, erkundigte ich mich. „Ich wollte dir das hier geben.“ Er streckte mir seine Hand entgegen, in der Louis Päckchen lag. Voller Freude nahm ich es und bedankte mich herzlich bei ihm. „Wo ist es denn gewesen, Vater? Vielen Dank, nochmal.“ „Es lag in der Kutsche auf dem Boden, mein Kind. Ich dachte mir, nimm es doch mit und bring es ihr. Ich hoffe, dass nichts kaputt gegangen ist.“ Erzählte er mir. „Ich lass dich nun wieder alleine. Der Diener kommt dich bald holen.“ Er ging raus und ich kroch ein bisschen unter der schweren Decke hervor. Langsam löste ich die Blätter und legte sie auf mein Kissen. Louis Geschenk war schwer und ich fragte mich was wohl da drin sei. Als ich alle Blätter entfernt hatte, erblickte ich einen kleinen Kürbis. Er sah dem sehr ähnlich, den ich schon mal bekommen hatte. Neben dem Kürbis lag noch ein kleiner Zettel auf dem stand;

Damit du dich immer an mich und deine Küche erinnerst.

Wer den Zettel so lesen würde, hätte keine Ahnung, um was es ging, doch ich wusste was Louis meinte. Ich legte den Zettel mit den Blättern zu dem Brief von Abby. Den Kürbis stellte ich auf die kleine Fläche oberhalb der Schublade.

Etwas später wartete ich angezogen darauf, dass man mich abholte. Ich hatte ein dunkelblaues Kleid, das an der Taille gerafft war, aus dem bereits bestückten Schrank, ausgesucht. Der Brief von Louis lag wieder in meiner Hand und ich musterte ihn die ganze Zeit. Jedoch klopfte es bald darauf an der Tür und nachdem ich „Herein“, gerufen hatte, trat eine Dienstmagd in den Raum. „Miss, ich soll Sie ins Esszimmer bringen und noch schnell Ihre Masse fürs Hochzeitskleid nehmen“, sagte sie leise. Ich musterte sie kurz und lächelte sie dann freundlich an, weil ich gerade nicht wusste was ich tun sollte. „Natürlich“, erwiderte ich und stand auf. Sie kam mit einem Massband zu mir und fing an meine Taille zu messen. Durch das Korsett war das eigentlich unmöglich, die richtigen Masse zu nehmen, aber die Magd erledigte das im Handumdrehen. Sie schrieb alles, auf einen kleinen Zettel und fügte immer noch ein paar Zentimeter dazu. Nach der Taille folgte die Hüfte und zum Schluss noch meine Oberweite. Das Ganze dauerte ca. fünf Minuten, danach ging sie zur Tür hinaus und deutete mir, ihr zu folgen. Sie führte mich durch unendlich viele, verschiedene Flure und klopfte dann endlich an eine Tür. Plötzlich wurde mir flau im Magen. Wie sollte ich mich nun verhalten? Aber ich hatte leider keine Zeit mehr darüber nachzudenken, denn die Magd hatte bereits die Tür geöffnet und war zur Seite getreten, um mir den Vortritt zu lassen. Ich ging die paar Schritte an ihr vorbei und blieb dann wieder stehen. Mein Vater war bereits da und unterhielt sich mit einem Mann. War das der Herzog? Er wirkte viel zu jung dafür. Mein Vater lächelte mich an und sagte: „Setz dich zu uns, Emilie.“ Ich tat wie mir geheissen und mein Vater deutete dann auf den anderen Mann und erklärte weiter. „Das hier ist der Herzog von Cambridge.“ Ich versuchte ihn höflich anzulächeln und hoffte nur, dass es mir auch gelang. Er erwiderte mein Lächeln ebenso zögernd. „Es tut mir leid, dass meine Mutter heute nicht anwesend sein kann. Sie residiert zurzeit in Cambridge. Ich wollte Sie aber in London empfangen.“ Nun lächelte er meinen Vater entschuldigend an. Er kam nicht dazu mehr zu sagen, denn gerade in dem Moment wurde die Tür erneut geöffnet und das Essen wurde aufgetragen. Während des ganzen Mahls war es angenehm ruhig. Der Herzog schien ein recht stiller Mensch zu sein. Vielleicht war er aber auch nur schüchtern. Das Essen war köstlich. Ich kam trotz all meiner Hemmungen nicht darum herum es zu geniessen. Nach der Mahlzeit begangen Vater und der Herzog, der wie ich nun wusste Niklas hiess, über Dinge wie den Krieg zu reden und da mich das nicht interessierte und ich auch nichts dazu sagen sollte, schwieg ich. Etwas später entschuldigte er sich, weil er angeblich noch etwas dringendes zu tun hatte, so dass sich nur noch mein Vater und ich im Raum befanden. „Ich werde mich jetzt ebenfalls zurückziehen, “, sagte ich, “denn ich bin mir sicher, dass morgen ein anstrengender Tag sein wird.“ Vater nickte nur und ich verliess den Raum. Ein Glück, dass ich mich noch an den Weg in meine Gemächer erinnerte, so dass ich kurz darauf wieder in meinem Zimmer war. Rasch zog ich das Kleid aus und streifte das seidene Nachthemd über, das bereits auf dem Bett lag. Ich löschte alle Kerzen im Raum und bald darauf erhellte nur noch die Glut des Feuers das Zimmer. Ich war viel zu müde um mir gross Gedanken über den Tag zu machen. Noch immer sass mir die weite Reise in den Knochen, so dass ich sofort in einen tiefen traumlosen Schlaf fiel.