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Sonntag, 19. Februar 2012

Zwei Jahre später



Kapitel 6



Ich sass am Frühstückstisch und löffelte wie jeden Morgen meine Cornflakes. Da kam Callie in die Küche gestürmt. „Oh.Mein.Gott! Em, du wirst es nicht glauben!“, rief sie aus und liess sich auf den Stuhl mir gegenüber fallen. „Was werde ich nicht glauben?“, fragte ich sie. „Du siehst aus, als hättest du gerade erfahren, dass du die Queen treffen wirst.“ Ich zog sie auf. Seit John, Callies Vater, beruflich in England berühmt geworden war, konnten wir an all die Elitepartys gehen, wofür wahrscheinlich viele sterben würden, aber wir legten nicht wirklich grossen Wert darauf. „Sehr witzig! Aber nein, ich kann mir das ersparen, denn es ist was viel besseres! Ich geh mit Adam aus! Du kannst es nicht glauben, oder? Oder?!“ Sie schrie beinahe und ich stand nur auf und räumte die Schüssel in den Geschirrspüler. „Ich glaub dir, ok? Also hör auf so rumzuschreien.“ Sie nickte stumm und ich verdrehte die Augen. Typisch Callie, solange es extrem war, war es gut. „Lass mich raten: Du brauchst was zum Anziehen?“, riet ich. „Du bist die Beste, lass uns gehen!“ Diesen Ausruf hatte ich schon erwartet.  Sie schnappte sich meinen Arm und zog mich zum Eingang. „Du weisst, dass ich nicht dein Hund bin und dir überall hin folge?“, erkundigte ich mich während ich mir meine Lederjacke überstreifte und in die Pumps schlüpfte. Callie rannte beinahe die Treppe zur Strasse runter. „Ja, ich weiss, aber du musst einfach mitkommen, du hast dieses super Gefühl für Farben und Style. Das habe ich nicht, und ausserdem weisst du einfach besser ob etwas zu edel ist oder nicht. Und du weisst, dass ich Recht habe, also versuche es gar nicht abzustreiten.“ Es war ein Wunder, dass sie nie innehalten musste, um Luft zu holen, da sie doch so schnell redete. Ich schüttelte nur leicht den Kopf und folgte ihr über die belebte Strasse zur U-Bahnstation, damit wir zu unserer lieblings  Einkaufsstrasse fahren konnten. 

Wie immer war Forever 21 vollgestopft, aber es war immer noch der beste Laden auf der ganzen Welt. Callie zog sich gerade um, damit sie mir probeweise ein Outfit zeigen konnte. „Und was denkst du?“, fragte sie mich, als sie wieder aus der Umkleidekabine hervor kam. „Ist das nicht zu sehr Ich-bin-ja-so-reich-und-toll-mässig?“ Ich grinste. „Nein ist es nicht, Cal und das weisst du! Es steht dir perfekt und ein Rock anzuziehen ist kein Verbrechen, sondern eine ganz normale Alltagskleidung. Und willst du das jetzt nehmen oder nicht? Denn nach den 20 Sachen, die du schon anhattest, solltest du eigentlich etwas gefunden haben, oder nicht?“ Sie musterte sich noch einmal im Spiegel. „Ich nehme das hier. Dazu habe ich noch Schuhe, die perfekt passen.“ „Welche Schuhe?“, fragte ich sie und versuchte mir alle Schuhe ins Gedächtnis zu rufen die sie besass. „Meine schwarzen Pumps, die mit den Blumen drauf“. Stimmt, jetzt wusste ich wieder welche sie meinte. Sie verschwand wieder und zwei Minuten später, trug sie wieder ihre Jeans und ihr Top. „So lass uns zahlen und gehen. Ich habe heute noch nicht gefrühstückt.“ Ich lachte. „Da bist du jetzt wirklich selber schuld. Du hättest etwas essen können.“ „Lust auf Cupcakes?“, antwortete sie nur. Ich nickte. Das war eine total unnötige Frage, wir wussten beide, wo unser nächster Stopp war.  Ich sah mich um und lächelte dann ein bisschen traurig. Das hier war so anders, als der Ort wo ich aufgewachsen war. Hier war es besser, einfacher, daran herrschte kein Zweifel. Aber ich vermisste manchmal meine Freundin Abby und hin und wieder schweiften meine Gedanken zurück zu meiner Familie. Und ganz, ganz selten, dachte ich noch an Luis, auch wenn ich wusste, dass ich keinen von ihnen je wieder sehen würde. Dass ich eine neue Familie gefunden hatte, indem ich Callie, die ich wie eine Schwester liebte, kennen gelernt hatte, es  gab neue Freunde und es würde auch wieder Jungs wie Louis geben. Das wusste ich alles, aber manchmal hatte ich Heimweh, obwohl ich die Welt, in der ich lebte, liebte und wusste, dass dies der Ort war an den ich hingehörte.


















Montag, 30. Januar 2012

Kapitel 5


Ein Mädchen, in einer sehr seltsamen Aufmachung, griff nach meinem Arm und zog mich von der Gefahr weg. „Hast du sie eigentlich noch alle?“, fragte sie mich scharf. „Wolltest du dich umbringen oder wie?“ Sie sah mich kopfschüttelnd an. Ich sah mich kurz um. Mein Gott, der Ort hier war…unbeschreiblich! „Wo bin ich?“, fragte ich leicht stockend. Das trug mir einen ungläubigen Blick des Mädchens ein. „Du bist in London“, antwortete sie in einem sachlichen Ton. In London? Das war unmöglich. „Das ist nicht London“, erwiderte ich. „Gerade vorhin stand ich noch bei unserem alten Haus…im Zentrum von London.“ Da begann sie doch im Ernst zu kichern. „Wir sind im Zentrum von London, am Piccadilly Circus um genau zu sein.“ Ich blickte mich nochmal um und begann dann den Kopf zu schütteln. Was war hier nur los? „Das ist unmöglich“, murmelte ich. „Hmm...also ich kann nur noch wenig Informationen geben. Ich bin Callie und heute ist der 23. Oktober 2011. Das ist ein Samstag.“ Ich sah sie an, nein eher starrte ich sie an. Was redete sie da? Es war der 23. Oktober, das ohne jeden Zweifel, aber wir hatten das Jahr 1670! Ich schüttelte immer noch den Kopf, besser gesagt ich wusste nicht genau was ich tat. „Weisst du, ich bin nicht eine von denen die für solche Scherze zu haben sind. Ich bin weder dumm noch sonst irgendwas und ich weiss in welchem Jahr wir uns befinden“, zischte ich, drehte mich um und lief ziellos in die Menge. So viele Menschen! Und plötzlich fühlte ich eine Hand auf meinem Handgelenk. „Lass mich los!“, sagte ich halblaut, während ich mich noch umdrehte, aber Callie beachtete mich gar nicht. „Was hast du da vorhin gesagt? Wegen dem Jahr? Weil ich bin mir zu hundert Prozent sicher, was wir für ein Jahr haben.“  Das verwirrte mich immer mehr. „Nein, anscheinend nicht ganz. Ich bin mir nämlich sicher, dass wir im Jahre 1670 sind und nicht in irgendeinem anderen.“ Ich musterte sie. Was war das bloss für eine Verrückte, die nicht mehr locker liess? Und wo war ich nur? Ich konnte ja nicht innerhalb von Sekunden einfach so an einem völlig anderen Ort sein. Das war unmöglich! Schlicht und einfach unmöglich. Doch dann schaute ich mich nochmal um. Das hier war nicht das London, das ich kannte, es war…anders. Wo war ich hier nur gelandet? Ich spürte den Blick der Menschen. Sie beobachteten mich, als sei ich ein unglaublich seltenes Insekt. Callie zog kurz an meinem Arm. „Du bist tropfnass, komm doch kurz zu mir, hier Draussen ist es viel zu kalt. Und dort können wir auch reden.“ Ich musterte sie, konnte sie mir helfen? Dann nickte ich. Eine Wahl hatte ich ja dann auch nicht wirklich. Ich könnte natürlich auch hier bleiben, ohne nichts in einer Stad,t die ich nicht kenne. Das wäre wohl der absolute Alptraum. Sie begann sich durch die Masse zu schieben und ich folgte ihr. Hier gab es viel zu viele Menschen. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Aber ich war nicht zu Hause. Das war mir in der Zwischenzeit auch bewusst geworden. Aber dann bogen wir von der grossen Strasse ab und kamen in eine breite Gasse. Sie war sehr viel weniger belebt, was mich ein bisschen aufatmen liess. „Mein Vater ist in so einer bescheuerten Firma der Chef, und wir haben so das Glück ganz im Zentrum von London zu leben“, erklärte Callie und verdrehte die Augen. „Ich bekomm zwar alles, was ich will, aber meinen Vater sehe ich nie und meine Mutter ist vor 3 Jahren ausgezogen.“ Ich musste sie ansehen als hätte sie den Verstand verloren, denn sie fragte: „Was?“ „Deine Mutter ist ausgezogen?“, beantwortete ich ihre Frage mit einer Gegenfrage. „Darf man das überhaupt?“ Ihr entwischte ein kurzes Lachen. „Klar darf man das. Das ist sogar total normal.“ Sie grinste ein bisschen und öffnete eine Tür mit einem Schlüssel. „Komm rein“, sagte sie nur. Ich folgte ihr in den Wohnraum und blieb staunend stehen. Der Raum war wunderschön. Ich hatte noch nie einen solchen Raum gesehen. Die Wände waren mit grossen Fenstern bestückt, so dass viel Licht durch den Raum flutete und das Weiss der Wände, mich beinahe blendete. Die Einrichtung war richtig farbenfroh. Leider hatte ich nicht mehr Zeit mich umzusehen, denn Callie zog mich schon in den nächsten mysteriösen Raum. Er war hellrot und orange und wunderschön. Aber ich fragte mich für was dieses Zimmer gut war. „Ja, ich weiss, diese Wohnung ist übertrieben, vor allem da ich alleine hier lebe. Aber die Küche hat ihre Vorteile. So als einziges Zimmer hier“, erklärte Callie. Das hier war eine Küche? Ich sah mich nochmal um. Eine Küche… “Sieht handlicher aus als zu Hause“, murmelte ich nur. „Und bevor ich es vergesse, willst du was Trockenes zum Anziehen?“, fragte sie mich. Ich sah kurz an mir herunter. Mein Kleid war immer noch durchnässt. „Gerne“, sagte ich leise. Sie ging wieder aus der Küche raus und ich folgte ihr. Das nächste Zimmer, war viel kleiner und vollgestellter als die anderen. Aber immer noch wunderschön. Callie ging geradewegs zum Schrank und zog zwei Kleidungsstücke heraus. „Hier“, sagte sie und hielt sie mir hin. „Hosen und ein Pullover, brauchst du sonst noch was?“ Ich schüttelte den Kopf und sie liess mich einen Moment allein, damit ich mich anziehen kann. Ich hatte noch nie zuvor in meinem Leben Hosen getragen. Und es war bequem, viel besser als ein Kleid. Man konnte sich viel besser bewegen. Ich verliess das Zimmer wieder und sah das Callie auf mich gewartet hatte. „Also ich klinge jetzt wie eine Irre, ich weiss, aber wiederhole bitte, was du vorhin über das 17. Jahrhundert oder so gesagt hast“, befahl sie. Ich runzelte die Stirn. „Also wir leben im Jahr 1670. Es ist der 23. Oktober, ja, aber du sagtest irgendwas von einem völlig anderen Jahr“, erzählte ich. Daraufhin schwieg ich. Was soll ich auch sonst noch sagen? Das war alles was ich wusste. Während Callie einen Punkt an der Wand fixierte fing ich damit an, ein bisschen auf und ab zu gehen. „Das ist unmöglich!“, sagte sie und schüttelte ungläubig den Kopf. „Wir haben das Jahr 2011. Aber man hat dir richtig angesehen, wie dich die Dinge hier überrascht haben. Das macht keinen Sinn…“ Sie schwieg noch einen Moment und sah mich dann an. „Das ist wie in ‚Zurück in die Zukunft‘, nur dass dir nicht mal bewusst ist, wo du bist.“ Und plötzlich lächelte sie mich an. „Was ist?“, erkundigte ich mich vorsichtig. „Na ja, ich hatte eine völlig verrückte und unmögliche Idee, aber irgendwie klingt es gerade auch sinnvoll. Keine Ahnung was ich denken soll…, aber ich habe das Gefühl, für dich bist du jetzt in der Zukunft, oder die Zukunft wurde zur Gegenwart.  Wie auch immer, du das sagen willst. Es ist einfach die einzige Möglichkeit. Du kommst aus London, aber das London aus dem Mittelalter und nicht dieses London hier. Damals hat’s hier ziemlich anders ausgesehen.“ Während sie redete hatte ich wieder damit angefangen sie anzustarren und schüttelte jetzt auch ungläubig den Kopf. „Das kann nicht sein. Das geht nicht!“, flüsterte ich, eher zu mir selbst als zu ihr. Es war unmöglich, das stand fest. Aber an diesem Ort gab es viele Dinge die unmöglich waren. Auch Callie nickte zustimmend. „Schon, aber es heisst ja so schön: Nichts ist unmöglich. Und auch, wenn niemand erwarten würde, dass man es in so einer Situation sagen könnte, sagt man es.“ Das hier war aber unmöglich. Und ich wusste, dass ihr das bewusst war. „Angenommen ich hätte Recht, was würdest du als nächstes tun?“, erkundigte Callie mich mit  funkelnden Augen. Ich schüttelte den Kopf und lächelte. „Ich weiss nicht…versuchen mich in dieser Welt zu Recht zu finden, schätze ich.“ Callie stiess sich von der Wand ab, an die sie vorhin gerade noch gelehnt hatte und griff nach meiner Hand, um mich hinter ihr her, zurück in die Küche zu ziehen. „Dann machen wir das jetzt! Du wirst lernen was ein ganz normaler Mensch tut. Und als erstes gehen wir dafür einen Kaffee trinken.“ Sie musterte mich kurz. „Du brauchst noch Schuhe, eine Jacke und wir müssen etwas mit deinen Haaren machen, ansonsten starrt dich nachher jeder an.“ Sie drehte mich wieder um und zog mich in einen anderen Raum. „Das hier ist ein Bad.“, erklärte sie kurz. Dann griff sie nach einer Bürste und fuhr mir damit durch die Haare, die sie zuerst noch entwirren musste. Kurz darauf, fiel mir mein glattes, braunes Haar offen über die Schultern. „So, jetzt können wir gehen.“ Wir gingen wieder zur Tür, dort stellte sie mir Schuhe hin, ein Paar Stiefel wie man sie sonst nur zum Reiten trug. Ich schlüpfte hinein und dann noch in die Jacke, die sie mir hinhielt. „So, jetzt können wir gehen. Hier um die Ecke hat es einen Starbucks, da gehen wir jetzt hin“, erläuterte sie. „Und einfach: Benimm dich ganz normal.“ Ich nickte. Vielleicht hatte Callie ja Recht und ich war in einer anderen Zeit. Denn man hätte bestimmt, von diesen fahrenden Gefährten gehört, oder von diesem Licht, das ganz ohne Flamme leuchtete und noch von so viel anderem.
Nach einigen hundert Metern weiter, öffnet Callie eine Tür und wir betreten einen grossen Raum. „Ich bestell für dich, ok?“, fragte sie und ich antwortete mit einem Nicken. „Danke. Und…ähm ich habe nichts womit ich bezahlen könnte…“ Ich biss mir auf die Lippen. Ich kam mir gerade ziemlich blöd vor. „Ich weiss“, antwortete sie mir. „Ich werde bezahlen, das ist kein Problem.“ „Danke“, wiederholte ich. „Keine grosse Sache. Echt“, sie grinste mich an. Und dann bestellte sie und zog mich zu einem etwas erhöhten Tisch. „Hier geben sie uns unsere Kaffees“, erklärte sie mir. Ich riss die Augen auf. „Und das funktioniert? Ich meine, wird da nichts gestohlen oder so?“, fragte ich schockiert. Da sollte unheimlich viel Geld einfach so verschwinden…Doch schon streckte sie mir einen Becher hin. „Hier, aber Vorsicht, der ist heiss.“ Ich griff achtsam nach dem Becher und hielt ihn einen Moment in der Hand. Und jetzt? Die Frage musste mir im Gesicht stehen, denn Callie lachte und griff nach meinem Arm. „Komm hier ist es viel zu voll“, sagte sie und lief aus dem Café. Nach nur wenigen etwas schmaleren Strassen, stand sie an einem Tor. „Das hier ist einer der Parks. Also, es gibt kaum noch so was wie Natur und Pflanzen und so hier, also haben sie solche Parks gemacht in denen es Rasenflächen und Bäume gibt, um sich zu entspannen und so. Es gibt ganz viele. Ich komme oft hier- her“, erläuterte sie mir und deutete  zum Teich. „Wenn du weisst wo, dann gibt es einige abgelegene Orte, wo man auch mal allein sein kann, wenn es sein muss.“ Sie lächelte. „Wenn du Abstand von dem ganzen Stress hier Draussen brauchst.“ Wir setzten uns beide auf eine Holzbank und ich nahm mal probeweise einen Schluck von dem Gebräu. Es war heiss und ein wenig bitter, aber es schmeckte irgendwie einfach köstlich, auf seine ganz eigene Art. Ich hatte noch nie zuvor Kaffee getrunken. Das war ein Getränk für Männer der Mittelschicht. Und dazu gehörte ich nicht. Mir blieb ein bitterer Nachgeschmack im Mund, aber trotzdem…Kaffee war köstlich und das wurde nur noch besser durch das Gefühl von innen her, gewärmt zu werden. Ich lächelte und sah mich um. Es rannten ein paar kleine Kinder herum, obwohl es schon kälter war und einige Personen etwa in meinem Alter spazierten herum. Was mich dabei vor allem erstaune, war, dass alle, auch die Mädchen, meist blaue Hosen trugen. Und das schien für niemanden ein Problem zu sein. Ich sah zu Callie rüber, die mich mit einem leichten Lächeln auf den Lippen beobachtete. „Erzähl mir ein wenig von deiner Zeit“, bat ich sie. „Wie lebst du?“ und Callie begann zu erzählen: „Also, erstens ich bin 16 Jahre alt und lebe allein mit meinem Vater. Ich gehe jeden Tag ausser samstags und sonntags zur Schule. Für die Schule muss ich diese nützliche und hässliche Uniform anziehen. Meine Freizeit verbringe ich mit meinen Freunden, das ist völlig normal in meinem Alter. Wir gehen ins Kino einen Film schauen…das ist so was, wie ein Theaterstück einfach moderner, oder gehen einen Kaffee trinken, Kleider einkaufen, verbringen einfach Zeit miteinander und reden. Ich bin sicher ein bisschen davon kennst du. Das ist normal für mein Alter.“ Sie lächelte. „Ich kann dir das alles beibringen, wenn du willst, keine Ahnung wieso, aber ich mag dich und ich habe das Gefühl, ich muss das machen. Dir helfen und so, mein ich.“ „Das würdest du echt tun?“, fragte ich sie leise. „Hab ich ja gerade eben gesagt. Und ich meine es ernst. Man merkt ja, dass du nicht von hier bist“, erwiderte sie. Und jetzt lächelte ich, oder besser gesagt strahlte ich. Das hörte sich merkwürdigerweise wunderbar an. Es war, als wäre hier der Ort, an dem ich mir immer erträumt hatte, zu leben. Und vielleicht war nicht alles perfekt, aber es war besser als die Aussichten, die ich bei dem Herzog gehabt hätte.

Kapitel 4


Am nächsten Morgen wurde ich von einem Klopfen geweckt. Verschlafen blinzelte ich und rieb mir den Schlaf aus den Augen. Während ich zur Tür spähte, hörte ich Schritte rein kommen. Die Kerze flackerte und langsam erblickte ich ein Gesicht. Es war ein junger Mann. Jünger als der Herzog, mit einem grossen Lachen auf den Lippen und erwartungsvollen Augen.  „Hola Signora“, begrüsste er mich. „Ich freue mich schon sehr auf den heutigen Tag mit Ihnen. Falls man es Ihnen noch nicht mitgeteilt hat, wir werden uns heute um Ihr Hochzeitskleid kümmern“, erklärte er mir mit einem mir unbekannten Akzent. Das Hochzeitskleid, schoss es mir in den Kopf, heute schon? Ich war doch erst seit gestern hier. Wieso hat es der Herzog so eilig mich zu seiner Frau zu machen? „Kleiden Sie sich bitte schnellst möglich an. Ich leg Ihnen ein paar Kleidungsstücke raus. Kommen Sie dann hinunter in den Empfangssaal, ich werde dort auf Sie warten.“ Während er mit mir sprach, ging er zu meinem Schrank und zog beliebige Kleider raus, nur um sie dann wieder hinein zu hängen.  „Das ist es!“, rief er plötzlich aus. Er nahm ein Kleid aus dem Schrank und legte es vorsichtig auf den Tisch. Während er sich verabschiedete und mich nochmal ermahnte nicht zu trödeln, stieg ich aus der wohligen Wärme in die unangenehme kalte Luft und lief zum Tisch. Das Kleid war wunderschön. Es war in einem feinen rosa Samt gehalten und hatte am unteren Rand ein kompliziertes Spitzenmuster.  Das Korsett war in einem dunkleren rosa gehalten als der Rock. Am oberen Rand des Korsetts befand sich ebenfalls Spitze, die aber eher schlicht gehalten war. Doch nun wanderte mein Blick auf den Übergang vom Korsett zum Rock. Das Korsett lief nach unten spitz über den unteren Rock und war mit Perlen übersät. Muss das teuer sein, schoss es mir durch den Kopf. Das mein Verlobter mir so ein wunderschönes Kleid schenkte, war sehr grosszügig. Vielleicht wollte er aber auch mit mir angeben? Man weiss nie, bei den Herzögen. Auf jeden Fall liebte ich das Kleid und ich nahm mir vor, Abby davon zu schreiben. Während ich weiter das Kleid bestaunte, kam mir der Gedanke, dass ich mich jetzt besser auf den Weg nach unten machte. Ich entledigte mich meiner Schlafrobe und zog dann das Kleid an. Es passte wie angegossen. Leider fand ich in meinem Gemach keinen Spiegel und so konnte ich mich nicht anschauen.

Auf dem Weg nach unten liefen mir mehrere Diener über den Weg. Sie alle hielten an, machten einen kurzen Knicks, bzw. eine Verbeugung und liefen dann schnell weiter. Als ich unten ankam, wartete der Schneider schon. Ob er wirklich ein Schneider war, wusste ich noch nicht, doch er sah zumindest wie einer aus. „Da sind Sie ja! Ich dachte schon Sie kommen nicht mehr“, sagte er mit einem strengen Blick. Er sah mit diesem Blick, sehr amüsant aus, denn sein junges Gesicht war nicht wirklich für so einen Blick geschaffen. Während er mich weiter beäugte, konnte ich nicht anders und vergass alle Regeln. Ich prustete laut los und er mit mir. Während wir uns versuchten zu beruhigen, kam ein Diener mit einem harten Gesichtsausdruck vorbei. Er sah uns an, schüttelte den Kopf und lief weiter.  Ich hörte noch wie er etwas in seinen Schnauzer murmelte, danach war er bereits um die Ecke verschwunden. Ich sah mein Gegenüber an. Er schmunzelte nur und erklärte mir dann,  wo er mich hinbringen würde. „Also meine Liebe, wie Sie schon wissen, werden wir uns heute um Ihr Hochzeitskleid kümmern, das sich in meinem Atelier in London befindet.“  In seinem Atelier? Na gut, dann hoff ich mal das es nicht zu langweilig wird. „Was genau werden Sie denn mit mir machen? Meine Masse haben Sie bereits und ich glaube nicht, dass sie das Kleid schon fertig haben.“ Er sah mich ungläubig an. „Also bitte, hören wir auf mit dem Siezen, dadurch fühl ich mich so alt und zweitens hast du schon mal was von Signore Gonsalez gehört?“ Ich schüttelte den Kopf.  „Sind… ähh Entschuldigung, bist du das?“, fragte ich vorsichtig. Er nickte und erwiderte dann; „Ich bin Signore Gonsalez, der bekannteste Schneider von ganz England. Natürlich hab ich dein Kleid bereits fertig geschneidert. Was meinst du wieso ich diese dunklen Ringe unter den Augen habe? Wegen deinem Kleid. Ich musste es schliesslich nur noch schneidern. Die Skizzen waren schon lange fertig.“ Welche dunklen Ringe, fragte ich mich. Man oder besser gedacht ich sah nichts. Während er mich mit sich zog, stolperte ich nach Draussen. Die Sonne drückte durch die Wolken und es wurde langsam wärmer. Obwohl wir uns bereits im Spätherbst befanden, war das Wetter so wechselhaft, wie sonst nur im Frühling. Plötzlich blieb er stehen und ich prallte in ihn hinein. Er drehte sich um und zeigte mit einer einladenden Begegnung auf eine kleine Kutsche. „Das ist meine“ erklärte er stolz.  Ich musterte die Kutsche genauer. Sie war nicht nur klein, sondern winzig und sie schien schon bessere Zeiten gesehen zu haben. Mein Blick wanderte zum Pferd. Naja, es war eigentlich kein Pferd, sondern Etwas kleines graues, das schon sehr alt aussah.  Das graue Etwas bewegte sich und schaute mich an. Seine Augen wanderten traurig umher und ich merkte erst jetzt, dass es sich um einen Esel handelte.  „Mr. Gonzales, ich hätte eine kleine Frage an dich. Wie alt ist das Tier?“ Er wendete seinen Blick mir zu. „Alt, würde ich mal sagen. Leider ist mein Pferd vor zwei Jahren gestorben und ich musste mit dem Esel vorlieb nehmen.“ Kann er sich kein neues Pferd leisten, kam mir der Gedanke, scheinbar nicht. Er nahm meine Hand und zog mich in die Kutsche. Von innen sah sie nicht besser aus. Der rote Samtvorhang hing vergilbt vor den Fenstern. Das Leder auf dem Sitz sah aus, als ob schon zu viele darauf Platz genommen hätten und  bei der kunstvollen Verzierung blätterte die Farbe ab. „Wieso hast du dir kein neues Pferd besorgt? Ich meine, wenn du wirklich so bekannt bist, solltest du doch nicht in so einer „schäbigen“ Kutsche fahren?“ Er nickte nur. „Weisst du, das Pferd, das gestorben ist, mit dem bin ich von Spanien, hier her gekommen. Mein Vater hat es mir geschenkt. Ich kann ihn nicht einfach ersetzen. Verstehst du, was ich meine? Und der Esel ist eigentlich gar nicht so schlecht. So erkennt mich zumindest keiner, wenn ich durch die Gegend fahre.“ Ich wusste was er meinte. Ich könnte mir meinen Vater auch nicht mit einer anderen Frau an seiner Seite vorstellen als meiner Mutter. Auch wenn ein Mensch vielleicht etwas anders ist als ein Tier, aber trotzdem.

Die Fahrt dauerte länger als ich gedacht habe. Während Mr. Gonzales angefangen hatte eine neue Skizze zu skizzieren, waren meine Augen nach Draussen gewandert. Ich schaute die vielen Bäume an, als wir durch einen Wald fuhren. Später waren es die Häuser, die meinen Blick gefangen hielten. Sie waren zum Teil klein und armselig und dann wieder gross und manchmal strotzten sie nur so vom Reichtum ihrer Herrschaften. Die Zeit verging recht schnell und so kam es, dass ich gar nicht bemerkte, wie die Kutsche anhielt.  Durch ein leichtes rütteln an der Schulter, riss ich meine Augen von einem besonders komischen Haus weg. Es war klein, hatte aber eine wunderschön goldige Verzierung an der Fassade. Der Hausherr trat gerade aus der Tür und schaute die Kutsche missbillig an. Er war klein und dick. „Wieso stellen sie ihre armselige Kutsche vor meinem Anwesen ab?“, schrie er zu uns rüber. Ich stieg aus und Signore Gonzales lief zu ihm rüber. „Ich bin Signore Gonzales und Sie sollten mich eigentlich kennen, schliesslich hab ich das Hochzeitskleid für Ihre Frau gemacht“, sprach er und machte kehrt. Als er wieder bei mir war, nahm er meine Hand und führte mich in ein kleines Häuschen. Als ich nochmals nach dem Mann schaute, stand der ganz verdutzt vor seiner Tür und schien nicht mehr zu wissen, was er genau tun wollte. Im Innern des Hauses standen überall die verschiedensten Stoffe. Naja, sie standen nicht unbedingt, sie lagen kreuz und quer über dem Boden verstreut, zum Teil stehend zum Teil liegend. Während meine Augen weiter den Raum durchsuchten, stolperte ich über einen purpur roten Stoff und fiel direkt in einen Berg Papier. Das Papier zerriss und ich bemerkte erst jetzt, dass es sich um Skizzen handelte. Ich blickte zu ihm hinauf. Er hatte seine Hände über dem Kopf zusammen geschlagen und sein Gesicht lief langsam rot an. Es wurde immer roter und dann prustete er los. „Zum Glück waren das alte Skizzen“, brachte er unter Lachen hervor. Sein Gesicht nahm langsam wieder eine normale Farbe an und er streckte mir die Hand hin, um mir auf zu helfen. Ich nahm sie und er zog mich hoch. Leider waren unter meinen Füssen ein paar Fadenspulen, die ich vorher nicht bemerkt hatte. Natürlich rutschte ich wieder aus und landete diesmal vor einem riesigen Kissen mit Nadeln drin. Wäre ich auch nur ein paar Zentimeter weiter vorn gelandet, würde mein Gesicht jetzt in den Nadeln stecken. Ich stand nochmal auf und schafft es diesmal nicht umzufallen.  Mr. Gonzales, ich musste ihn dringend mal nach seinem Vornamen fragen, zeigte auf einen Stuhl. Ich setzte mich und wartete. Er holte einen weissen Stoff und nahm die Skizzen vom Tisch. Nachdem er mir die Skizzen reichte, machte er sich an einer der Stoffpuppen zu schaffen. Ich schaute mir die Skizzen an. Sie waren wunderschön und zeigten ein Kleid aus verschiedenen Perspektiven. Auf dem ersten Blatt sah man es von vorn. Mr. Gonzales hatte mit nur wenigen Strichen ein perfektes Kleid gezeichnet. Es erinnerte mich an eine Elfe aus den Märchen, die mir meine Grossmutter immer erzählt hatte. Die Elfe hatte ein ähnliches Kleid getragen. Der einzige Unterschied war, dass ihres rosa war und meines weiss sein wird. Unter der Brust befanden sich lauter Steine, wahrscheinlich Rubine, da diese für Reichtum standen. An den Oberarmen befand sich ein kleines Stoffpölsterchen, das ebenfalls mit Rubinen besetzt war. Das korsettartige Oberteil verlief in einen breiten Rock. Er bestand aus einem etwas dunklerem Weiss. Ein paar der weisseren Stoffstreifen verliefen über den Rock. Für mich sah das ganze Kleid aus, wie wenn man eine Blume von unten anschaut.  Auf dem zweiten Blatt sah man es von hinten. Das Unterteil verlief zu einem langen Schleier zusammen und die Rubine bildeten hinten ein Herz. Wenn man das Oberteil aufmachte, dann befanden sich auf den zwei Teilen, jeweils eine Seite des Herzens. Der Verschluss bestand aus kleinen Perlknöpfen, die das ganze Korsett bedeckten.  Auf dem letzten Skizzenblatt befanden sich meine Schuhe.  Sie hatten einen kleinen Absatz, der etwa  eins, vielleicht zwei Zoll hoch war und schauten aus wie Stiefel. Die Bänder, die sich um etwas zu ranken schienen, waren aus Samt, so stand es zumindest auf dem Blatt. Wobei man die Schrift nicht wirklich gut entziffern konnte. Ich blickte wieder von den Skizzen hoch. Das weisse Etwas stellte sich als mein Kleid heraus. Er hatte es in der Zwischenzeit der Stoffpuppe angezogen. Ich blickte mich suchend um. Wo waren die Schuhe? „Wo genau hast du denn die Schuhe hingestellt?“, fragte ich neugierig. „Die sind noch nicht fertig. Ich hab es dir doch gesagt. Ich habe die ganze Nacht an den Skizzen und dem Kleid gearbeitet. Die Schuhe muss zuerst der Schuhmacher machen, bevor ich sie weiter verarbeiten kann“, erklärte er dann.  Ich liess meinen Blick wieder zum Kleid schweifen. In Wirklichkeit sah es so viel schöner aus, als nur auf der Skizze. Vollkommen fasziniert stand ich auf und lief langsam darauf zu. Meine Hand fuhr vollkommen automatisch über den Stoff. Er war weich, geschmeidig und duftete herrlich. Die Steine waren tatsächlich Rubine und glänzten im schwachen Licht der Sonne. „Gefällt es dir?“, hörte ich eine Stimme hinter mir. Ich drehte mich um und sah in das erwartungsvolle Gesicht des Schneiders. „Es … ist …. wunderschön“, brachte ich stocken heraus. Nun strahlte er. „Dann bin ich ja froh, sonst hätte ich die ganze Nacht umsonst gearbeitet. So, dann kommen wir jetzt zu unserer heutigen Aufgabe. Du sollst das Kleid anprobieren und dann schauen wir mal, ob du dadrin tanzen kannst.“ „Tanzen?“, entfuhr es mir ein bisschen zu laut. „Ja tanzen. Du kannst das doch, oder?“ Ich nickte. „Gut, dann zieh dich doch bitte hinter dieser Wand aus.“ Er zeigte auf eine Trennwand, die mitten im Zimmer stand.

Während ich mich auszog, trat er vor die Wand und legte mein Hochzeitskleid darüber.  Ich nahm es und schlüpfte vorsichtig hinein. Das Ganze erwies sich schwieriger als gedacht, doch es ging einigermassen. Nun  kam mir das nächste Problem in den Sinn. Wie sollte ich die Perlenknöpfe zumachen? „Kannst du mir helfen, es zu schliessen?“, fragte ich ihn ein wenig ängstlich. Er kam mir sofort zur Hilfe und machte langsam Knopf für Knopf zu. Nachdem er es hinter sich gebracht hatte, nahm er meine Hand und zog mich vor einen Spiegel. Ich sah wunderschön aus. Fast wie meine Mutter, damals an ihrer Hochzeit. Früher hatten wir ein Gemälde auf dem mein Vater mit meiner Mutter, an ihrem Hochzeitstag abgebildet war. Leider ist es verbrannt. Während ich mich im Spiegel musterte, bemerkte ich wie Mr. Gonzales sich eine Träne aus dem Augenwinkel wischte. Wieso weinte er? „Was hast du? Ich meine warum weinst du?“ „Du siehst nur so umwerfend in diesem Kleid aus. Ich habe mich wieder mal selbst übertroffen!“, brachte er schluchzend hervor.  Er hatte recht. Das Kleid passte wie angegossen, selbst dem Herzog müsste es gefallen. Während ich mir das Kleid mit den Schuhen vorstellte, klopfte es an der Tür.  „Sie müssen sofort kommen. Das Kleid, das Sie für meine Frau gemacht haben, passt ihr nicht mehr. Sie hat zugenommen und sieht jetzt nicht mehr umwerfend aus, in dem Kleid. Deshalb, bitte ich Sie, jetzt in diese Kutsche zu steigen und zu mir zu fahren. Falls Sie noch einen anderen Kunden haben, tut mir das leid, aber die Hochzeit findet morgen statt“, sprach eine tiefe Stimme. Ich schaute Mr. Gonzales an. Er liess mich doch jetzt nicht alleine, oder? „Es tut mir leid, aber ich muss mit diesem Herrn mitgehen. Behalten Sie das Kleid an und bewegen Sie sich ein bisschen oder tanzen Sie mit sich selbst, was Ihnen lieber ist. Ich komme so schnell wie möglich wieder zurück. Bleiben Sie einfach hier.“ Wieso sprach er mich wieder mit “Sie“ an? Ich nickte und versteckte mich dann vor den neugierigen Blicken des Herren, mit dem er jetzt mitging. Ich hörte noch, wie er ihm etwas zu murmelte, doch ich konnte nicht genau verstehen was. Nun war ich alleine. Während ich durch ein Fenster schaute, bemerkte ich, dass mir diese Umgebung bekannt vor kommt. Ich hatte hier meine Kindheit verbracht. Während ich alle Anweisungen vergass, die Mr. Gonzales mir gegeben hatte, stürmte ich nach Draussen und lief zu unserem alten Haus. Es war weiter entfernt als ich gedacht hatte und ohne Schuhe war es nicht die beste Idee, aber was machte es schon. Dann hatte ich eben dreckige Füsse. Während ich immer weiter lief, merkte ich nicht, wie meine Füsse immer mehr schmerzten. Ich wurde langsamer und blieb schliesslich stehen. Ich schaute mich um. Hier, war es, als mein Vater mich schnappte und vom Feuer weg brachte, aber wo hat das Haus gestanden? Ich lief noch ein paar Schritte weiter und setze mich schliesslich auf den Boden, dass mein Kleid schmutzig wurde, war mir in diesem Moment egal. Während ich weiter an die glücklichen Zeiten mit meiner Familie dachte, kamen mir die Tränen.

Da sass ich nun. Weinend, nur mit meinem Hochzeitskleid am Rande des Weges. Hier muss es gewesen sein. Hier war mein altes Haus und hier liegen mein Bruder und meine Mutter begraben. Ich schaute zum Himmel hinauf. Die strahlende Sonne war verschwunden und der Himmel war jetzt von dicken schwarzen Wolken bedeckte. Es fängt jeden Moment an zu Regnen, schoss es mir durch den Kopf. Da ging es auch schon los. Die Schleusen öffneten sich und der Himmel leerte seine schwere Wasserladung direkt auf mich runter. Ich war bis auf die Knochen nass. Von der Kälte lag ich schlotternd auf dem Boden, meine Knie zu mir raufgezogen, die Arme um die Beine geschlungen. Und da fiel ich, so fühlte es sich zumindest an. Als ob man immer tiefer fallen würde. Während ich meine Augen vor schreck zukniff, spürte ich einen Wind, der mir mein Kleid und die Haare wieder trocken blies. Plötzlich hörte das Gefühl auf und ich hörte tausend Geräusche auf einmal. Da waren Stimmen und etwas anderes. Es hörte sich an wie Musik, auch wenn es nicht wie eine Geige oder ein Klavier klang. Und da war noch etwas. Ich wusste nicht genau was, aber es war laut und kam immer näher. Ich stand auf und sah etwas auf mich zu schlittern. Es war so rot wie Blut und es quietschte. Da blieb es stehen. Wäre es auch nur ein paar Zentimeter weiter auf mich zugekommen, hätte es mich berührt.

Montag, 16. Januar 2012

Kapitel 3



Die Woche verging wie im Flug, dachte ich, während ich die Wäsche zusammenlegte. „Emilie“, wurde ich von Vater aus meinen Gedanken gerissen. „Komm doch bitte, mit deiner gepackten Tasche, runter“, redete er weiter. „Ich komme gleich zu Ihnen runter, Vater“, erwiderte ich ihm. Während ich noch meine letzten Habseligkeiten zusammen packte, wanderten meine Gedanken schon wieder weiter zu meinem Zukünftigen. Wie er wohl war? Liebevoll oder doch grausam und brutal? Plötzlich kam Missy zu mir. Sie schmiegte sich an mein Bein und ich nahm sie zu mir hoch. Während ich mit ihr in der einen Hand und der Tasche in der anderen Hand, die Treppe runter ging, hörte ich Vater mit einer mir bereits bekannten Stimme diskutieren. „Hören Sie, sie kann die Katze nicht mitnehmen. Der  Herzog mag keine Katzen. Also tun Sie mir den Gefallen und lassen Sie sie da“, erklärte der Bote. Mein Vater wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als er mich sah. Sein Blick war traurig und er gab die Diskussion wohl auf. Der Bote drehte sich nun zu mir um. Als er mich sah, mit Missy auf meinen Arm, wurde sein ernster Blick weich. Seine Augen verloren an Härte und er sagte zu mir: „Steigen Sie in die Kutsche. Ihre Katze können wir leider nicht mitnehmen. Der Herzog erwartet Sie morgen.“ Während sich in meinen Augen Tränen sammelten, wurde sein Blick nochmal viel weicher. Er musste tief in sich drin, ein guter Mensch sein, dachte ich. Vater zog mich sanft nach draussen. Dort erwarteten mich Louis und Abby. Während Abby mich sanft in ihre Arme zog und mir dann vorsichtig Missy wegnahm, gab Louis mir ein kleines Päckchen. Es war in wunderschönen Blättern eingewickelt. „Danke“, sagte ich ihm mit Tränen in den Augen. Als ich mich Abby zuwandte, lächelte sie mich an. Auch sie hatte Tränen in den Augen. Meine kleine Katze schmiegte sich nun an sie und begann zu schnurren. In diesem Moment begriff ich, dass ich Missy ihr anvertrauen konnte. „Könntest du auf sie aufpassen?“, fragte ich mit einer viel zu zittrigen Stimme. Sie nickte nur, ihren Tränen hatte sie in der Zwischenzeit freien Lauf gelassen. Während ich sie zum Abschied nochmal umarmte, steckte sie mir einen kleinen Zettel, in die löchrige Manteltasche. Ich strich Missy nochmal über den Kopf,  warf Louis einen letzten sehnsuchtsvollen Blick zu, in den ich alle meine Gefühle für ihn legte und stieg schweren herzens ein. Vater folgte mir und der Bote stieg vorne auf den Platz des Kutschers. Während wir holpernd davon fuhren, liefen mir die Tränen über die Wangen. Vor Louis konnte ich mich noch davor Bewahren los zu weinen, doch nun kamen sie einfach. Vater strich mir langsam über den Rücken, während ich immer wieder Missy’s Namen schluchzte.

Nachdem ich mich wieder einigermassen unter Kontrolle hatte, wanderten meine Gedanken zurück an den Tag, an dem ich den Kürbiskuchen backte. Louis kam am Abend, wie abgemacht, kurz vor Sonnenuntergang vorbei. Ich wollte ihm ein Stück Kuchen abschneiden, doch statt in den Kuchen, schnitt ich mir in den Finger. Er war sofort bei mir und drückte mir ein Tuch, auf den blutigen Finger. So nah, wie in diesem Moment, waren wir uns noch nie. Ich wusste nicht, wie lange wir so dagestanden haben, doch er liess viel zu schnell wieder von mir ab. Mein Finger hatte aufgehört zu bluten und er bot mir an, den Kuchen zu schneiden, so dass ich mich nicht nochmal schnitt. Ich setzte mich also hin und er reichte mir mein Stück. Als er sich ebenfalls gesetzt hatte, probierte er ein bisschen. Er schaute mich an und sagte zuerst nichts. Als ich ihn immer noch erwartungsvoll anschaute verhaspelte er sich beim Sprechen: „Also der Kuchen ist wirklich super… ich meine er ist wirklich gut… eigentlich ist es der beste Kuchen den ich je gegessen habe.“ Sein Lob machte mich Stolz und meine Wangen wurden augenblicklich rot. „Danke“, erwiderte ich ziemlich verlegen. Er lachte nur noch mehr. Sein Lachen war wunderschön und ansteckend. Nach ein paar Sekunden, in denen wir uns in die Augen geschaut haben, fingen wir beide lauthals an zu lachen. Bei dem Gedanken daran musste ich lächeln. Als mir dann wieder einfiel was danach geschah, wurde mein Lächeln nur noch grösser. Während wir lachten, sind wir immer näher zusammen gerückt. Schlussendlich waren wir uns wieder so nah, wie vorher als ich mir in den Finger geschnitten hatte. Diesmal rückte er nicht von meiner Seite. Er war sich meiner Nähe zuerst gar nicht bewusst, bis wir hinter uns ein Räuspern hörten. Er liess mich auf der Stelle los und verschwand schnell ans andere Ende der Küche. Als ich mich umdrehte, sah ich Abby im Eingang stehen. Sie musste sich zusammenreissen, um nicht laut los zu prusten. Ihr Gesicht lief langsam rot an und sie schien förmlich zu explodieren. „Ich wollte euch nicht erschrecken und auch nicht stören.“, brach sie unter Lachen hervor. Ich schaute zu Louis. Er schien sichtlich verwirrt von ihrer Gestalt. Ich lief auf ihn zu und zog ihn sanft zu ihr. „Louis das ist Abby, Abby das ist Louis“, stellte ich sie einander vor. Sie schaute ihn nur an und flüsterte mir dann zu: „Seine Augen, die sind wirklich aussergewöhnlich.“ Ich nickte ihr nur zu.

Während ich an diese Szene dachte, schossen mir schon wieder die Tränen in die Augen. Vater schaute mich fragend an. Ich schüttelte nur den Kopf und versuchte nicht mehr an letzte Woche zu denken. Ich kuschelte mich in meinen Mantel und versuchte zu schlafen. Während ich meine Hände in die Manteltaschen steckte, bemerkte ich den kleinen Zettel von Abby wieder. Ich nahm mir vor, ihn in einer ruhigen Minute zu lesen. Während ich in an die wunderschöne Zeit mit Abby dachte, fielen meine Augen langsam zu.

Ich wachte durch ein sanftes Rütteln an meiner Schulter auf. Die gleichmässige Bewegung stoppte, als er sah, dass ich langsam wach wurde. Als ich meine Augen öffnete, sah ich in die sanften Augen meines Vaters. „Emilie, du musst aufwachen. In einer guten halben Stunde sind wir da.“, sagte er mir. Als ich mir den Schlaf aus den Augen rieb, bemerkte ich, dass das Päckchen von Louis aus meiner Tasche gefallen ist. Ich steckte es schnell wieder rein, so dass es ziemlich weit unter meiner Kleidung verborgen blieb. Vater beobachtete mich schweigend. Er sagte nichts, als ich mich wieder zurück lehnte und ihn fragend anschaute. Die halbe Stunde verging wie im Flug. Als die Kutsche langsamer wurde, zog ich die Vorhänge vor dem Fenster auf und schaute auf das mir altbekannte London. Die Häuser waren wieder neu gebaut worden, so dass man vom Feuer nichts mehr bemerkte. Mein Blick wanderte zu Vater, der gespannt aus dem Kutschenfenster sah. Sein Gesicht veränderte sich von Minute zu Minute. Zuerst spiegelte es Überraschung, dann Verwunderung, Vorfreude und zum Schluss Stolz wider. Der Stolz blieb und ich wunderte mich, wieso er so stolz war. Ich meinte, er war sicher nicht stolz auf mich. Vielleicht auf sich selbst? Auf jeden Fall hielt die Kutsche nun vor einem wunderschönen Garten an. Der Bote öffnete die Türe und Vater ging raus. Ich packte meine Sachen wieder ein und schaute nochmal nach, dass ich auch alles wieder eingepackt hatte. Vater reichte mir die Hand und ich stieg aus der Kutsche.

Ich liess meinen Blick kurz durch die Umgebung schweifen und lächelte dann. Es sah ganz hübsch aus. Es hatte ein paar grosse Wiesen und Beete, wo es im Frühling und im Sommer bestimmt Blumen gab. Aber dann fiel mir wieder ein, warum ich hier war, und das wischte mir das Lächeln sofort aus dem Gesicht. Ich seufzte kurz und folgte dann meinem Vater. Ich hatte ja keine Wahl.  Der Dienstbote zeigte zuerst meinem Vater und dann mir den Weg zu unseren Gemächer. Ich betrachtete das Haus von innen und es erinnerte mich an so viele Kindertage, wo ich mit meinem Bruder in einem ähnlichen Haus gespielt hatte. Und später an Festen meiner Familie teilgenommen hatte. Aber das lag nun doch schon eine Weile zurück. Der Dienstbote öffnete eine Tür und liess mich eintreten, bevor er mir folgte. „Eure Gemächer Miss“, sagte er. „Man wird Sie in etwa einer Stunde für das Abendmahl abholen, es steht eine Wanne mit warmem Wasser bereit und im Schrank hat es Kleider. Wenn Ihr Hilfe beim Ankleiden braucht, zögert nicht uns zu rufen.“ Er deutete bei seinen letzen Worten auf  eine beinahe winzige Glocke an der Wand. Ich nickte und bedankte mich kurz. Als er gegangen war, eilte ich zu der Wanne und liess mich kurz darauf in das warme Wasser gleiten. Ich hatte schon ewig kein Bad mehr genommen und es war einfach nur herrlich im warmen Wasser zu sein und sich zu entspannen.

Während ich in dem warmen Wasser lag, wünschte ich mir, dass Missy jetzt bei mir sein könnte. Ihr schwarzes Fell und der dicke Bauch, mit den Kleinen drin. Ich musste Abby einen Brief zukommen lassen. Hoffentlich schreibt sie mir, wenn die Kleinen auf der Welt sind. Als ich an Abby’s Lachen dachte, kam mir der Brief wieder in den Sinn. So schnell es ging, sprang ich aus der warmen Wanne. Das Wasser schwappte über den Rand und der Boden wurde rutschig. Ich schnappte mir das Handtuch, wickelte mich ein und ging aus dem Waschraum. Meine Sachen lagen immer noch auf dem Boden. Ich nahm den Mantel und langte in die Tasche. Sobald ich den Brief zu fassen bekam, liess ich den Mantel fallen und setzte mich aufs Bett. Wie weich es war. Mit zittrigen Händen faltete ich es langsam auseinander.

Liebe Emilie

Ich hoffe, dass es dir beim Herzog gefällt. Wir werden dich besuchen kommen.

Ob es deinem Herzog gefällt, wissen wir nicht. Aber wir wissen, dass wir dich sehr vermissen werden, besonders Louis. Er hat gesagt, ich soll dir ganz liebe Grüsse ausrichten.  Da ich mir gedacht habe, dass du mir Missy überlässt, falls du das nicht getan hast, wird das hier ganz schön peinlich, verspreche ich dir, dass ich mich ganz gut um sie kümmern werde. Ihre Jungen werden bald das Licht der Welt erblicken. Ich lasse dir eine Nachricht zukommen, wenn sie da sind.

In Liebe, deine Freundin Abby

Während des Lesens, kamen mir die Tränen. Sie tropften, auf das ohnehin schon sehr dünne Papier und die Tinte zerfloss. Nur mit Mühe konnte man die Wörter jetzt lesen. Doch das war mir egal. Neben meinem Bett stand eine kleine Kommode mit einem Schubfach darin. Ich zog es auf und legte den Brief vorsichtig hinein. Während ich mir mein Gemach genauer anschaute, kam mir Louis Geschenk wieder in den Sinn. Als ich meine Manteltaschen durchsuchte, merkte ich, dass es nicht hier war. Wo war sein Geschenk? Hat Vater es mitgenommen? Oder war es mir in der Kutsche aus der Tasche gefallen? Ich suchte verzweifelt weiter, als es an der Tür klopfte. „Emilie“, hörte ich Vaters Stimme. Er machte die Tür auf und kam rein. Ich sprang in mein Bett und kroch unter die Decke. „Was machst du in deinem Bett“, fragte er mich. „Ich habe nur ein Tuch um mich gewickelt, Vater. Was wollen Sie denn von mir?“, erkundigte ich mich. „Ich wollte dir das hier geben.“ Er streckte mir seine Hand entgegen, in der Louis Päckchen lag. Voller Freude nahm ich es und bedankte mich herzlich bei ihm. „Wo ist es denn gewesen, Vater? Vielen Dank, nochmal.“ „Es lag in der Kutsche auf dem Boden, mein Kind. Ich dachte mir, nimm es doch mit und bring es ihr. Ich hoffe, dass nichts kaputt gegangen ist.“ Erzählte er mir. „Ich lass dich nun wieder alleine. Der Diener kommt dich bald holen.“ Er ging raus und ich kroch ein bisschen unter der schweren Decke hervor. Langsam löste ich die Blätter und legte sie auf mein Kissen. Louis Geschenk war schwer und ich fragte mich was wohl da drin sei. Als ich alle Blätter entfernt hatte, erblickte ich einen kleinen Kürbis. Er sah dem sehr ähnlich, den ich schon mal bekommen hatte. Neben dem Kürbis lag noch ein kleiner Zettel auf dem stand;

Damit du dich immer an mich und deine Küche erinnerst.

Wer den Zettel so lesen würde, hätte keine Ahnung, um was es ging, doch ich wusste was Louis meinte. Ich legte den Zettel mit den Blättern zu dem Brief von Abby. Den Kürbis stellte ich auf die kleine Fläche oberhalb der Schublade.

Etwas später wartete ich angezogen darauf, dass man mich abholte. Ich hatte ein dunkelblaues Kleid, das an der Taille gerafft war, aus dem bereits bestückten Schrank, ausgesucht. Der Brief von Louis lag wieder in meiner Hand und ich musterte ihn die ganze Zeit. Jedoch klopfte es bald darauf an der Tür und nachdem ich „Herein“, gerufen hatte, trat eine Dienstmagd in den Raum. „Miss, ich soll Sie ins Esszimmer bringen und noch schnell Ihre Masse fürs Hochzeitskleid nehmen“, sagte sie leise. Ich musterte sie kurz und lächelte sie dann freundlich an, weil ich gerade nicht wusste was ich tun sollte. „Natürlich“, erwiderte ich und stand auf. Sie kam mit einem Massband zu mir und fing an meine Taille zu messen. Durch das Korsett war das eigentlich unmöglich, die richtigen Masse zu nehmen, aber die Magd erledigte das im Handumdrehen. Sie schrieb alles, auf einen kleinen Zettel und fügte immer noch ein paar Zentimeter dazu. Nach der Taille folgte die Hüfte und zum Schluss noch meine Oberweite. Das Ganze dauerte ca. fünf Minuten, danach ging sie zur Tür hinaus und deutete mir, ihr zu folgen. Sie führte mich durch unendlich viele, verschiedene Flure und klopfte dann endlich an eine Tür. Plötzlich wurde mir flau im Magen. Wie sollte ich mich nun verhalten? Aber ich hatte leider keine Zeit mehr darüber nachzudenken, denn die Magd hatte bereits die Tür geöffnet und war zur Seite getreten, um mir den Vortritt zu lassen. Ich ging die paar Schritte an ihr vorbei und blieb dann wieder stehen. Mein Vater war bereits da und unterhielt sich mit einem Mann. War das der Herzog? Er wirkte viel zu jung dafür. Mein Vater lächelte mich an und sagte: „Setz dich zu uns, Emilie.“ Ich tat wie mir geheissen und mein Vater deutete dann auf den anderen Mann und erklärte weiter. „Das hier ist der Herzog von Cambridge.“ Ich versuchte ihn höflich anzulächeln und hoffte nur, dass es mir auch gelang. Er erwiderte mein Lächeln ebenso zögernd. „Es tut mir leid, dass meine Mutter heute nicht anwesend sein kann. Sie residiert zurzeit in Cambridge. Ich wollte Sie aber in London empfangen.“ Nun lächelte er meinen Vater entschuldigend an. Er kam nicht dazu mehr zu sagen, denn gerade in dem Moment wurde die Tür erneut geöffnet und das Essen wurde aufgetragen. Während des ganzen Mahls war es angenehm ruhig. Der Herzog schien ein recht stiller Mensch zu sein. Vielleicht war er aber auch nur schüchtern. Das Essen war köstlich. Ich kam trotz all meiner Hemmungen nicht darum herum es zu geniessen. Nach der Mahlzeit begangen Vater und der Herzog, der wie ich nun wusste Niklas hiess, über Dinge wie den Krieg zu reden und da mich das nicht interessierte und ich auch nichts dazu sagen sollte, schwieg ich. Etwas später entschuldigte er sich, weil er angeblich noch etwas dringendes zu tun hatte, so dass sich nur noch mein Vater und ich im Raum befanden. „Ich werde mich jetzt ebenfalls zurückziehen, “, sagte ich, “denn ich bin mir sicher, dass morgen ein anstrengender Tag sein wird.“ Vater nickte nur und ich verliess den Raum. Ein Glück, dass ich mich noch an den Weg in meine Gemächer erinnerte, so dass ich kurz darauf wieder in meinem Zimmer war. Rasch zog ich das Kleid aus und streifte das seidene Nachthemd über, das bereits auf dem Bett lag. Ich löschte alle Kerzen im Raum und bald darauf erhellte nur noch die Glut des Feuers das Zimmer. Ich war viel zu müde um mir gross Gedanken über den Tag zu machen. Noch immer sass mir die weite Reise in den Knochen, so dass ich sofort in einen tiefen traumlosen Schlaf fiel.













Montag, 12. Dezember 2011

Kapitel 2



Wie jeden zweiten Dienstag war Markt. Auf dem Weg zum Dorfplatz, lief ich an ein paar Feldern vorbei und entdeckte auf dem einen Louis. Ich beobachtete ihn heimlich aus der Ferne.  Doch plötzlich schob sich ein vertrautes Gesicht in mein Blickfeld. „Hat dieser verträumte Blick etwas zu bedeuten?“, fragte meine beste Freundin und grinste mich an. Hier auf dem Land waren sie mit vielen Dingen so viel offener, als es in der londoner Gesellschaft getan wurde. Auch wenn sich dort dieselben Sachen abspielten, wenn nicht noch schlimmere, aber dort geschahen sie im Geheimen.  Ich lächelte ein bisschen und schüttelte nur den Kopf. „Ich hab nur nachgedacht“, erwiderte ich und wir machten uns zusammen auf den Weg zum Markt. Abigail grinste nur, sagte aber nichts weiter. Was im Moment wohl gar nicht so schlecht war. Der immer fröhlichen Abby konnte man viel zu schnell ein Geheimnis anvertrauen, dass lieber ein Geheimnis bleiben sollte. Aber genau deshalb war sie meine Freundin geworden. Sie war die einzige die mir hier am Anfang nicht mit Misstrauen entgegenkam, sondern von Anfang an freundlich gewesen war. Aber dieses Misstrauen war heute längst Vergangenheit.

Wir kamen schliesslich beim Markt an und es herrschte derselbe Trubel wie immer. Ein kleiner Junge lief schreiend an mir vorbei und ein weiterer folgte ihm auf den Fuss. Jetzt musste ich wirklich lächeln. Die Atmosphäre hier war immer entspannt. Abby und ich erledigten unsere Einkäufe. Wie jedes Mal kauften wir so ziemlich dasselbe ein. Was man halt so zum Leben brauchte. Mehl, Öl, ein paar Kartoffeln und da ich schon mal die Gelegenheit hatte, ein paar frische Früchte. Die Gedörrten waren zwar lecker, aber nach einiger Zeit, verging einem der Appetit auf sie.

Danach machten wir uns wie immer auf zu dem schmalen Feldweg, auf dem es kaum je eine Menschenseele hatte. Der kurze Spaziergang zum Fluss war unglaublich befreiend. Hier fühlte ich mich immer frei zu sagen was ich dachte und was ich wollte. Vor allem mit Abby. Wir lachten und redeten. Der neuste Klatsch des Dorfes machte die Runde. Die Tochter vom Metzger ist angeblich in anderen Umständen. Nun ja, das überraschte keinen. Sie war schliesslich schon eine ganze Weile Verheiratet. ‚Louis Schwester‘, schoss es mir durch den Kopf.

 Wir setzten uns auf einen grösseren Stein beim Flussufer und da fragte Abby plötzlich: „Und was gibt es bei dir Neues?“  Ich wusste nicht was ich antworten sollte. Kann ich ihr das wirklich sagen? , fragte ich mich kurz. Ich lächelte sie matt  an und zuckte mit den Schultern. „Ich werde… heiraten“, antwortete ich ihr und stockte dabei einmal kurz. Ich sah wie ihre Miene sich von gutmütig zu völlig entgeistert wechselte. „Was?“, fragte sie scharf. „Abby…kann ich einfach fertig reden?“ Wenn Blicke töten könnten, wär ich jetzt mausetot.. Aber sie schwieg. Und mir wollten die Worte nicht über die Lippen. Dann würden sie wirklich real sein. „Gestern Abend kam ein Bote zu uns…und er sagte das…man mit der Verlobung einverstanden sei….ich weiss nicht mal genau wen ich heiraten werde…“, brach ich schliesslich irgendwie hervor. Nun sah sie mich an. Ihr Blick wanderte von Enttäuschung zu Unglauben. „Und, du weisst es wirklich erst seit gestern?“, fragte sie mich dann verwirrt. Als Antwort nickte ich nur, dann nahm sie mich in die Arme und strich mir langsam über den Rücken. Sie so nah bei mir zu spüren tat gut und jetzt wusste ich wieder, wieso sie meine Freundin war. Während wir da sassen, aneinander gekuschelt, waren wir einfach still. Wir mussten uns nicht Unterhalten, denn ich wusste genau, was sie jetzt denkt und so war es auch bei ihr. Wir kannten uns in der kurzen Zeit die ich jetzt hier war, schon fast in und auswendig. Als die Sonne langsam unterging merkten wir, wie die Zeit vergangen war. Wir schauten uns an, und sagten beide zur selben Zeit: „Ich muss nach Hause. Mein Vater wartet sicher schon.“ Nun fingen wir an zu Lachen. Während wir gemeinsam nach Hause schlenderten, kamen wir wieder beim Markt vorbei. Die Männer und Frauen hatten angefangen, die Stände zusammen zu räumen. Wir winkten ihnen und sie schwangen freundlich die Arme, um zurück zu grüssen. Nach dem Markt gingen wir getrennte Wege.

Als ich schon fast bei unserem Hof ankam, sprang Louis, aus heiterem Himmel, aus dem Gebüsch.  Natürlich erschrak ich fürchterlich und liess den Korb mit den Besorgungen beinahe fallen. Ein paar Äpfel und Kartoffeln fielen trotzdem zu Boden. Er sank auf die Knie und sammelte alles, mit nur einer Hand, wieder ein. Die andere Hand, liess er hinter seinem Rücken versteckt. Als er wieder alles in den Korb zurück gelegt hatte, stand er auf und sah mir in die Augen. Seine schönen grauen Augen waren von einem Schatten überzogen. „Ich wollte mich nur nochmal richtig bei dir entschuldigen. Mein Verhalten gestern war falsch“, gestand er leise. War es wirklich erst gestern als wir zusammen auf dem Brunnenrand sassen? Mir kam es vor als wäre es Wochen her. „Ist schon in Ordnung“, erwiderte ich mit zittriger Stimme. Die Tränen wollten wieder kommen, doch ich konnte sie zurück halten. „Ich habe dir noch etwas Kleines mitgebracht“, sagte er dann. Nun zog er seine Hand hervor. Darin befand sich ein kleiner Kürbis, der für eine Suppe reichen würde. „Ich hoffe du magst Kürbiskuchen. Der kleine Kürbis hier, ist perfekt für einen Kuchen geeignet und ich dachte, dass du vielleicht einen Kuchen backen kannst.“, erzählte er mir. „Du fragst mich, ob ich Kürbiskuchen mag? Es ist eines meiner Leibgerichte, herzlichen Dank.“, antwortete ich ihm. Nun wurde sein Lächeln zu einem wunderschönen Lachen. „Dann habe ich wohl Glück gehabt“ „Hast du, wenn du möchtest kannst du auch ein Stück haben. Ich werde ihn morgen Nachmittag backen“, erwiderte ich. „Gerne, ich komme morgen nach Sonnenuntergang vorbei“, sagte er mit einem vorfreudigen Unterton in der Stimme.

Er lief davon und ich schaute ihm so lange nach, bis er nicht mehr zu sehen war. Nun stiess ich die Tür auf und verstaute zuerst mal alle Einkäufe. Nun musste ich mir ein gutes Versteck für den Kürbis überlegen. Ich wollte nicht, dass er gestohlen wird oder dass Missy, was weiss ich mit ihm anstellen würde. Als ich ihn dann im hintersten Winkel des Schrankes hineinlegte, verschloss ich die Tür sorgfältig und ging dann in meine Kammer. Jetzt machte sich die Müdigkeit in mir breit. Ich legte mich für ein kleines Nickerchen hin. Als ich wieder aufwachte, bemerkte ich, dass Missy sich an mich gekuschelt hat.  Da es nun Zeit fürs Abendbrot war, ging ich in die Küche. Auf dem Weg zu ihr, begegnete ich Vater und war erstaunt, dass er nüchtern war. Er setzte seinen Rat tatsächlich um. „Emilie, komm doch bitte mit mir mit, ich muss mit dir reden.“, sagte er. Nun, folgte ich ihm in die Hauptkammer und überlegte, um was es sich wohl handeln könnte. „Setz dich bitte“, forderte er mich auf. Als ich mich setze, kam Missy angeflitzt und sprang auf meinen Schoss. Vater schien es nicht einmal zu bemerken. Ganz in seine Gedanken versunken fing er an zu reden; „Wie du weisst, kam gestern ein Bote vorbei. Er hat mir eine freudige Mitteilung überbracht. Du wirst den Herzog von Cambridge heiraten. Wir werden wieder aufsteigen. Du kannst wieder auf Bälle gehen und wirst ihm einen Nachfolger gebären.“ Ich war geschockt. Ich wusste es zwar schon, aber es jetzt als offizielle Ankündigung zu hören, war anders. Je mehr ich über seine Worte nachdachte, desto beängstigender wurden sie. Auf Bälle gehen, wäre sicher toll, aber einen Nachfahren für den Herzog gebären, eher nicht. Da ich wusste, dass jeder Versuch ihn zu überreden, den Herzog nicht Heiraten zu müssen sinnlos wäre, probierte ich es erst gar nicht. „Kann ich jetzt das Abendbrot zubereiten?“, fragte ich ihn. Meine Stimme gehorcht noch nicht ganz, aber er merkte es nicht. Er nickte nur und ging aus dem Raum, direkt zur Haustüre hinaus. Ich begab mich in die Küche und schnitt das frisch gekaufte Brot in Scheiben, dann bereitete ich die Tomaten zu. Ich wusch sie, schnitt sie dann ebenfalls in Scheiben und legte sie auf einen kleinen Holzteller. Nun holte ich noch, ein paar getrocknete Kürbisscheiben hervor und legte sie zu den Tomaten. Für das Brot, hatte ich auch noch einen kleinen Käse geschenkt bekommen von Abby’s Vater. Es war ein Schafskäse und mit ein bisschen  Kümmel, würde er sicher gut schmecken. Nachdem ich alles zubereitet hatte, stellte ich es auf unseren kleinen Holztisch. Sobald ich die Becher gewaschen hatte, füllte ich sie noch mit Kürbissaft auf und stellte sie ebenfalls auf den Tisch. Jetzt musste ich nur noch auf Vater warten. Während des wartens, kam mir die Idee, dass ich jetzt schnell die Tiere füttern könnte. Also schnappte ich mir meinen Umhang und lief nach Draussen. Natürlich hatte ich wieder einmal die Kerze vergessen. Nachdem ich zurück war und sie geholt hatte fütterte ich die Tiere. Da ich auch noch einen Eimer mitgenommen hatte, konnte ich die zwei Kühe noch melken. Auch das war schnell getan und ich lief mit der frischen Milch zurück in die Küche. Wieder in der Küche, stellte ich die Milch in unsere kleine Vorratskammer und legte dann noch ein Holzscheit auf das halberloschene Feuer im Kamin. Nun, hörte ich wie die Türe aufgestossen wurde. Vater kam zurück. Er setzte sich an den Tisch und schnappte sich eine Scheibe Brot und bestrich sie mit dem Ziegenkäse. Ich trank ein wenig Kürbissaft und streute ein bisschen Pfeffer darüber. Während ich meinen Vater heimlich beobachtete, merkte ich, dass ihn irgendwas bedrückte. Ich schaute ihn fragend an. „Geht es Ihnen nicht gut?“, erkundigte ich mich. „Doch, sicher geht es mir gut. Wieso meinst du?“, fragte er zurück. „Ich dachte nur… naja, wenn es Ihnen gut geht ist ja alles in Ordnung. Sie wirken nur so bedrückt.“, antwortete ich ihm zögernd. Er schaute mich abwartend an, als ob er mich für verrückt hielt. Ich sagte nichts mehr und trank noch mal einen Schluck vom Kürbissaft. Langsam wurde ich hungrig. Während ich noch einmal ein paar Scheiben Brot abschnitt, teilte mir Vater etwas mit: „Es ist nur, dass wir schon nächste Woche nach London müssen.“ Nächste Woche! Das kann doch nicht sein Ernst sein. Wieso schon so schnell? Normalerweise dauert sowas doch viel länger. „Sind Sie sicher, dass wir schon nächste Woche los müssen?“, fragte ich vorsichtig. Er nickte nur und ass schweigend weiter. Mir blieb nichts anderes übrig, als dasselbe zu tun. Als er fertig war, stand Vater auf und lief zu seiner Kammer. Ich ass weiter und streute noch ein bisschen Kümmel auf mein Brot. Als ich mein Mahl beendet hatte, schnappte ich mir die Holzteller und trug sie zum Wassereimer. Nun machte ich mich an die Arbeit, die Teller sauber zu wischen.

Nachdem alles blitzblank war, verstaute ich es in dem kleinen Holzschrank und ging in meine Kammer. Ich zündete eine Kerze an und wusch mir das Gesicht. Nun wechselte ich meine Kleidung und legte mich in mein kratziges Lager. In Gedanken, dankte ich Gott für das Abendmahl und den restlichen Tag, auch dafür, dass Abby die ganze Nachricht mit meiner Heirat einigermassen gut aufgenommen hatte und besonders für den kleinen Kürbis von Louis.





 





Montag, 5. Dezember 2011

Kapitel 1



Ich schüttelte die deprimierenden Gedanken ab und machte mich auf den Heimweg. Wieder einmal bestaunte ich die Landschaft, die hier so anders wirkt als die hohen Mauern londons. Und doch sah sie im Herbst, so anders aus als im Frühling. Die farbigen Blätter die vom Winde getragen werden, ersetzen den blumigen Duft der Blumenzeit. Die schreienden Kinder haben sich in die halb zerfallenen Häuser zurückgezogen. Die Männer kamen von der Arbeit von den Kürbisfeldern zurück und wurden von ihren Frauen überschwänglich begrüsst. Nun erklang freudiges Kinderlachen aus den Höfen. Nur bei uns nicht. Zu Hause sass Vater am Tisch und starrte auf seine halb volle Weinflasche. Ein Seufzer entwich mir, doch mein Vater schaute nicht mal auf. Da noch kein Abendbrot bereit stand, wollte ich die Suppe von gestern aufwärmen. Aber das Feuer war beinahe erloschen und wir hatten kein Feuerholz mehr im Haus. Also machte ich mich auf den Weg nach Draussen in die Kälte. Hinter dem Hof, in der Nähe vom Stall, lagerten wir das Holz. Nun, konnte ich genauso gut, schnell die Tiere füttern. Hafer für das Pferd, Heu für die zwei Kühe und noch ein bisschen Reste von gestern, für die beiden Schweine. Jetzt ging die Sonne endgültig unter. In vollkommener Dunkelheit, holte ich das Brennholz und eilte zurück ins Haus.



Kurz darauf wurde der ganze Raum vom warmen Licht des Feuers erhellt. Als die Suppe zu köcheln begann, nahm ich sie vom Feuer, goss sie in zwei hölzerne Schalen und nahm die einzigen zwei Löffel hervor, die wir noch besassen. Die Öllampen, die ich vorher angemacht hatte, flackerten nun im stillen vor sich hin. Die Suppe hatte den faden Geschmack von Kürbissen, obwohl sie nicht mehr ganz frisch waren. Wie immer herrschte Stille während der Mahlzeit. Vater starrte immer noch vor sich hin, obwohl seine Augen diesmal dem Dampf seiner Brühe folgten und nicht mehr das halb volle Glas fixierten. Während er seine Suppe langsam in sich hinein löffelte, machten sich meine Gedanken wieder selbständig.



Diesmal waren sie jedoch nicht so deprimierend wie vor dem Sonnenuntergang. Sie wanderten nur wieder einmal zu dem Jungen, den ich am Dorfbrunnen gesehen habe. Seine Augen erinnerten mich an den Regen, der schon bald wieder in Strömen kommen müsste. Für die Jahreszeit war es viel zu trocken und zu warm. Auf den Feldern dörrten die Kürbisse vor sich hin. Während mein Hirngespinst wieder zurück zu dem Jungen mit den funkelnden grauen Augen zurückschweifte, erbeutete mein Vater die nächste Weinflasche und machte sich damit auf in seine Kammer. Immer noch in meine Grübeleien vertieft, machte ich mich daran das Essgeschirr abzuwaschen. Noch während ich vor unserer Haustür am Trog stand, hörte ich näherkommende Hufschläge. Das Geräusch kam in rasendem Tempo näher und das Pferd blieb ruckartig vor dem Haus stehen. Der Reiter stieg ab, würdigte mich keines Blickes und verlangte meinen Vater zu sehen. „Natürlich.“, sagte ich und lächelte höflich. Während ich zurück ins Haus eilte, hörte ich Vater auch schon die Tür seines Gemachs öffnen. „Vater, hier ist ein Bote, der Euch sprechen möchte“, erklärte ich ihm. Er lief bereits in Richtung des Eingangs. „Geh auf deine Kammer, Emilie!“, murmelte er in seinem angetrunkenen Zustand. „Das hier geht dich nichts an.“ Gewiss, würde ich jetzt nicht einfach so verschwinden! Ich folgte ihm, im Abstand einiger Augenblicke und legte mein Ohr an die geschlossene Tür, hinter der sich die beiden Männer befanden. „…Herzog von Cambridge hat sein Einverständnis gegeben, was die Hochzeit mit Miss O’Neill betrifft.“, verkündete der Fremde. Ein leiser Schrei entwich mir und ich sank gegen die Wand. Meine Knie drohten nachzugeben. Als mein Vater zu einer Antwort ansetze, sprang ich auf und rannte aus dem Haus. Völlig aufgewühlt kam ich beim Brunnen an. Ich liess mich auf die Brunnenmauer sinken und konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Nachdem ich mich wieder ein wenig beruhigt hatte, erklang hinter mir plötzlich eine warme Stimme. „Geht es dir gut?“ Ich zuckte erschrocken zusammen und drehte mich um. Dann sah ich sein Gesicht, erhellt vom flackernden Kerzenschein. Er beugte sich zu mir runter und strich mir mit dem Daumen die Tränen von den Wangen. „Jaa … denke … ich, ich glaube schon“, murmelte ich stockend um einen weiteren Schluchzer zu unterdrücken. Er setze sich neben mich. „Du siehst aber nicht so aus“, sagte der Junge mit einem Lächeln in der Stimme. Ich drehte mich zu ihm und sah sein charmantes Lächeln. Nun musste ich ebenfalls ein bisschen lächeln. „Du bist Emilie, richtig?“ Ich schaute ihn verwundert an und erwiderte mit einem Nicken: „Richtig, und wer bist du?“ Da änderte sich sein Lächeln in ein verschlagenes Grinsen. „Nun ja, ich bin, versprich mir aber nicht zu lachen, Louis“, erläuterte er. Ich hatte keine Ahnung, wieso er sagte, dass ich nicht lachen soll, denn der Name war wunderschön und passte perfekt zu ihm. „Sagst du mir, warum du so erschüttert warst?“, fragte er vorsichtig. Sollte ich es ihm erzählen? Aus irgendeinem Grund, wollte ich und doch wusste ich nicht ob ich es tun sollte. Ich presste die Lippen aufeinander und sah ihm dann in seine wundervollen grauen Augen. Und da beschloss ich es ihm zu erzählen. „Mein Vater hat beschlossen, dass ich heiraten werde“, sagte ich mit fester Stimme.

Sobald, die Worte meinen Mund verliessen, herrschte Schweigen. Kein peinliches, oder gar ein ängstliches Schweigen. Nein, es war ein kaltes Schweigen. Und sein Blick änderte von liebevoll, zu ungläubig und dann zu entsetzen. Dann klappte sein Mund auf und er liess ihn einfach so. Vollkommen starr sass er da und bewegte sich keinen Millimeter. Nur seinen Atem hörte ich noch. Seine Kerze flackerte im Wind und dann erlosch sie. Nun waren wir in völliger Dunkelheit gefangen. Einzig die leuchtenden Augen einer scheuen Katze blickten uns an. Da bewegte er sich wieder. Er zog ein Schwefelhölzchen aus seiner Tasche und zündete die Kerze wieder an. Vom Licht erschrocken, wich die Katze wieder zurück ins Unterholz und verschwand lautlos. Nun, sah er mich an und sein Gesicht flackerte im Kerzenlicht gespenstisch. Seine Augen wirkten leer und die freudigen Funken, die ich immer wieder gesehen habe, waren wie weggeblasen. Nun wurden sie von einer Traurigkeit ersetzt, die ich noch nie bei jemandem gesehen habe. Nicht mal, bei Vater als er meine Mutter, und meinen Bruder, Gott segne sie beide, verlor. Damals waren seine Augen einfach nur noch leer und heute sind sie von einem glasigen Schimmer überzogen. Aber was Louis angeht. Es erschreckte mich und ich wich augenblicklich zurück. Doch in diesem Moment, als ich von ihm zurück wich, sagte er etwas. „Nun, das überrascht mich. Aber, wenn das so ist, dann muss ich mich verabschieden. Du solltest wieder zurückgehen, dein Vater wartet sicher schon sehnlichst auf dich. Auch muss ich mich entschuldigen. Ich wollte dich nicht belästigen, es war nur… Aber so ist es auch gut. Eine wunderschöne und glückliche Zukunft wünsch ich dir. Dein Verlobter kann sich glücklich schätzen.“, waren seine Worte. Nachdem er sie ausgesprochen hatte, sprang er auf und lief im Dunkeln zurück zu seinem Hof. Die Kerze ging in seiner Hasst wieder aus und er liess sie auch so. Ich blieb zurück und weinte wieder. Diesmal waren es leise Schluchzer, die mein Körper von sich gab und doch blieb ich auf dem kalten Brunnenrand sitzen. Da hörte ich ein leises, fast aufmunterndes Miauen und wusste, dass die Katze zurück gekommen war. Sie sprang auf meinen Schoss und schmiegte sich an mich. Sie war so weich und wohl genährt für die Jahreszeit, dass ich sie einfach streicheln musste. Ich machte mir keine Gedanken über eine Krankheit, die sie haben konnte oder gar über Flöhe. Ich kraulte sie einfach immer weiter und beruhigte mich während dem immer mehr. Und während es mir immer besser ging, merkte ich, dass sie dicker war als andere Katzen. Sie war besser genährt, aber trotzdem, sie war dicker, viel dicker, fast schon als ob sie trächtig wäre. Und da merkte ich es endgültig. Ich spürte es, eine Bewegung in ihrem Bauch. Ein kleiner Tritt. Vollkommen fasziniert von der Bewegung, legte ich meine Hand auf meinen Magen und stellte mir vor, dass da drin ein Kind heranwachsen würde. Dummerweise dachte ich an ein Kind von Louis und mir, nicht an ein Baby vom Herzog und mir. Und da wusste ich, wenn ich noch lange hier Draussen bleiben würde, dann kämen mir nur wieder Tränen.



Also machte ich mich auf den Weg nach Hause. Die Katze, ich hatte sie inzwischen Missy genannt, nahm ich mit. Vor der Tür blieb ich stehen und atmete noch einmal tief durch. Dann öffnete ich sie mit einem Ruck. Dahinter stand Vater mit dem Boten und schaute mich fragend an. „Ich war nur frische Luft schnappen“, erklärte ich ihnen. Jetzt nur keinen Fehler machen, dachte ich. Missy, die ich immer noch auf dem Arm hielt, wurde langsam unruhig und ich liess sie zu Boden. Schnell verschwand sie, auf direktem Weg in meine Kammer. Während ich ihr nachschaute, verabschiedete Vater den Boten. Er schien es eilig zu haben, ihn loszuwerden. Als der Bote auf seinem Pferd sass, richtete er das Wort nochmal an mich. „Sie haben grosses Glück. Nicht jeder der mal Oben war, nach Unten fiel, kommt wieder nach Oben. Aber bei Ihrer Schönheit ist das, wahrlich kein Wunder. Auf Wiedersehen meine Hübsche.“, äusserte er sich. Mit einer angedeuteten Verbeugung ritt er endgültig davon. Vater zog mich ins Haus hinein und verlangte sofort eine Erklärung, wegen der Katze. „Falls du meinst, mir ist das Vieh nicht aufgefallen, dann täuscht du dich. Es ist mir sehr wohl aufgefallen und verlässt auf der Stelle meinen Hof!“ schrie er mich an. Während er mich anschnauzte, kam sie wieder aus meiner Kammer. Ich konnte mich ihm nicht wiedersetzen und doch konnte ich sie auch nicht wieder raus in die Kälte lassen. „Aber Vater, sie ist trächtig. Man kann sie jetzt doch nicht raus in die Kälte lassen. Kann sie nicht wenigsten eine Nacht hier bleiben?“, fragte ich ihn vorsichtig. Nun, hörte ich lange Zeit nichts mehr. Die Minuten verstrichen und wir schauten uns an. Unsere Augen führten einen kleinen Kampf und schlussendlich gab er nach. „Wusstest du noch, dass du dir als kleines Mädchen immer eine Katze gewünscht hast?“ fragte er mich. „Nein, ich muss wohl noch sehr klein gewesen sein, sonst wüsste ich es sicher noch.“, erwiderte ich und überlegte fieberhaft, ob mir nicht doch noch etwas aus der Zeit vor der Pest einfiel. „Wir haben dir damals gesagt, dass du ein Pferd haben könntest, aber du wolltest nur eine Katze. Die hast du aber nie bekommen. Deine Mutter vertrug die Haare nicht. Als wir bei deinem Onkel waren, musste sie die ganze Zeit niessen. Deshalb hast du damals keine bekommen. Aber wenn du willst, können wir sie behalten.“, erzählte er weiter. Zuerst glaubte ich es nicht. „Wirklich Vater?“ fragte ich mit einer Stimme die am liebsten gleich loskreischen und ihm um den Hals fallen würde. Aber natürlich konnte ich das nicht. Ich riss mich also zusammen und schaute ihn erwartungsvoll an. „Ja, wirklich, du hast recht. Sie ist trächtig, deshalb kann sie bleiben. Ich werde jetzt auch nicht mehr weiter diskutieren. Mein Kopf brummt von den Flaschen, die ich heute getrunken habe. Vielleicht sollte ich damit aufhören. Auf jeden Fall ziehe ich mich nun zurück. Eine angenehme Nacht wünsch ich dir.“, meinte er. Dann lief er schwankend los und verschwand in seiner Kammer unter dem Dach.



















 

Vorwort

Ich habe viel überlebt. Die Pest, das grosse Feuer, aber dies werde ich nicht überleben. Meine Mutter starb an der Pest, mein Bruder im Feuer. Man sollte meinen, das Geld das wir hatten, würde uns retten, doch das hat es nicht. Das Geld hat uns nur zerstört. Mein Vater gab es aus, für Huren und Glückspiele. Jetzt haben wir nichts mehr. Wir leben nicht mehr in einem schönen Herrenhaus, sondern auf einem winzigen Bauernhof ausserhalb von London. Ich konnte nicht mehr auf Bälle gehen, keine schönen Kleider mehr tragen, den Schmuck musste ich für den Bauernhof verkaufen. Wir hatten nichts mehr,  keine Dienstboten und kein Koch. Und nun, musste ich alles selber machen. Mein Vater hoffte natürlich, dass wir eines Tages wieder zur gehobenen Gesellschaft gehören würden. Die einzige Chance dafür, wäre eine Hochzeit. Meine Hochzeit mit einem reichen Lord.