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Montag, 30. Januar 2012

Kapitel 5


Ein Mädchen, in einer sehr seltsamen Aufmachung, griff nach meinem Arm und zog mich von der Gefahr weg. „Hast du sie eigentlich noch alle?“, fragte sie mich scharf. „Wolltest du dich umbringen oder wie?“ Sie sah mich kopfschüttelnd an. Ich sah mich kurz um. Mein Gott, der Ort hier war…unbeschreiblich! „Wo bin ich?“, fragte ich leicht stockend. Das trug mir einen ungläubigen Blick des Mädchens ein. „Du bist in London“, antwortete sie in einem sachlichen Ton. In London? Das war unmöglich. „Das ist nicht London“, erwiderte ich. „Gerade vorhin stand ich noch bei unserem alten Haus…im Zentrum von London.“ Da begann sie doch im Ernst zu kichern. „Wir sind im Zentrum von London, am Piccadilly Circus um genau zu sein.“ Ich blickte mich nochmal um und begann dann den Kopf zu schütteln. Was war hier nur los? „Das ist unmöglich“, murmelte ich. „Hmm...also ich kann nur noch wenig Informationen geben. Ich bin Callie und heute ist der 23. Oktober 2011. Das ist ein Samstag.“ Ich sah sie an, nein eher starrte ich sie an. Was redete sie da? Es war der 23. Oktober, das ohne jeden Zweifel, aber wir hatten das Jahr 1670! Ich schüttelte immer noch den Kopf, besser gesagt ich wusste nicht genau was ich tat. „Weisst du, ich bin nicht eine von denen die für solche Scherze zu haben sind. Ich bin weder dumm noch sonst irgendwas und ich weiss in welchem Jahr wir uns befinden“, zischte ich, drehte mich um und lief ziellos in die Menge. So viele Menschen! Und plötzlich fühlte ich eine Hand auf meinem Handgelenk. „Lass mich los!“, sagte ich halblaut, während ich mich noch umdrehte, aber Callie beachtete mich gar nicht. „Was hast du da vorhin gesagt? Wegen dem Jahr? Weil ich bin mir zu hundert Prozent sicher, was wir für ein Jahr haben.“  Das verwirrte mich immer mehr. „Nein, anscheinend nicht ganz. Ich bin mir nämlich sicher, dass wir im Jahre 1670 sind und nicht in irgendeinem anderen.“ Ich musterte sie. Was war das bloss für eine Verrückte, die nicht mehr locker liess? Und wo war ich nur? Ich konnte ja nicht innerhalb von Sekunden einfach so an einem völlig anderen Ort sein. Das war unmöglich! Schlicht und einfach unmöglich. Doch dann schaute ich mich nochmal um. Das hier war nicht das London, das ich kannte, es war…anders. Wo war ich hier nur gelandet? Ich spürte den Blick der Menschen. Sie beobachteten mich, als sei ich ein unglaublich seltenes Insekt. Callie zog kurz an meinem Arm. „Du bist tropfnass, komm doch kurz zu mir, hier Draussen ist es viel zu kalt. Und dort können wir auch reden.“ Ich musterte sie, konnte sie mir helfen? Dann nickte ich. Eine Wahl hatte ich ja dann auch nicht wirklich. Ich könnte natürlich auch hier bleiben, ohne nichts in einer Stad,t die ich nicht kenne. Das wäre wohl der absolute Alptraum. Sie begann sich durch die Masse zu schieben und ich folgte ihr. Hier gab es viel zu viele Menschen. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Aber ich war nicht zu Hause. Das war mir in der Zwischenzeit auch bewusst geworden. Aber dann bogen wir von der grossen Strasse ab und kamen in eine breite Gasse. Sie war sehr viel weniger belebt, was mich ein bisschen aufatmen liess. „Mein Vater ist in so einer bescheuerten Firma der Chef, und wir haben so das Glück ganz im Zentrum von London zu leben“, erklärte Callie und verdrehte die Augen. „Ich bekomm zwar alles, was ich will, aber meinen Vater sehe ich nie und meine Mutter ist vor 3 Jahren ausgezogen.“ Ich musste sie ansehen als hätte sie den Verstand verloren, denn sie fragte: „Was?“ „Deine Mutter ist ausgezogen?“, beantwortete ich ihre Frage mit einer Gegenfrage. „Darf man das überhaupt?“ Ihr entwischte ein kurzes Lachen. „Klar darf man das. Das ist sogar total normal.“ Sie grinste ein bisschen und öffnete eine Tür mit einem Schlüssel. „Komm rein“, sagte sie nur. Ich folgte ihr in den Wohnraum und blieb staunend stehen. Der Raum war wunderschön. Ich hatte noch nie einen solchen Raum gesehen. Die Wände waren mit grossen Fenstern bestückt, so dass viel Licht durch den Raum flutete und das Weiss der Wände, mich beinahe blendete. Die Einrichtung war richtig farbenfroh. Leider hatte ich nicht mehr Zeit mich umzusehen, denn Callie zog mich schon in den nächsten mysteriösen Raum. Er war hellrot und orange und wunderschön. Aber ich fragte mich für was dieses Zimmer gut war. „Ja, ich weiss, diese Wohnung ist übertrieben, vor allem da ich alleine hier lebe. Aber die Küche hat ihre Vorteile. So als einziges Zimmer hier“, erklärte Callie. Das hier war eine Küche? Ich sah mich nochmal um. Eine Küche… “Sieht handlicher aus als zu Hause“, murmelte ich nur. „Und bevor ich es vergesse, willst du was Trockenes zum Anziehen?“, fragte sie mich. Ich sah kurz an mir herunter. Mein Kleid war immer noch durchnässt. „Gerne“, sagte ich leise. Sie ging wieder aus der Küche raus und ich folgte ihr. Das nächste Zimmer, war viel kleiner und vollgestellter als die anderen. Aber immer noch wunderschön. Callie ging geradewegs zum Schrank und zog zwei Kleidungsstücke heraus. „Hier“, sagte sie und hielt sie mir hin. „Hosen und ein Pullover, brauchst du sonst noch was?“ Ich schüttelte den Kopf und sie liess mich einen Moment allein, damit ich mich anziehen kann. Ich hatte noch nie zuvor in meinem Leben Hosen getragen. Und es war bequem, viel besser als ein Kleid. Man konnte sich viel besser bewegen. Ich verliess das Zimmer wieder und sah das Callie auf mich gewartet hatte. „Also ich klinge jetzt wie eine Irre, ich weiss, aber wiederhole bitte, was du vorhin über das 17. Jahrhundert oder so gesagt hast“, befahl sie. Ich runzelte die Stirn. „Also wir leben im Jahr 1670. Es ist der 23. Oktober, ja, aber du sagtest irgendwas von einem völlig anderen Jahr“, erzählte ich. Daraufhin schwieg ich. Was soll ich auch sonst noch sagen? Das war alles was ich wusste. Während Callie einen Punkt an der Wand fixierte fing ich damit an, ein bisschen auf und ab zu gehen. „Das ist unmöglich!“, sagte sie und schüttelte ungläubig den Kopf. „Wir haben das Jahr 2011. Aber man hat dir richtig angesehen, wie dich die Dinge hier überrascht haben. Das macht keinen Sinn…“ Sie schwieg noch einen Moment und sah mich dann an. „Das ist wie in ‚Zurück in die Zukunft‘, nur dass dir nicht mal bewusst ist, wo du bist.“ Und plötzlich lächelte sie mich an. „Was ist?“, erkundigte ich mich vorsichtig. „Na ja, ich hatte eine völlig verrückte und unmögliche Idee, aber irgendwie klingt es gerade auch sinnvoll. Keine Ahnung was ich denken soll…, aber ich habe das Gefühl, für dich bist du jetzt in der Zukunft, oder die Zukunft wurde zur Gegenwart.  Wie auch immer, du das sagen willst. Es ist einfach die einzige Möglichkeit. Du kommst aus London, aber das London aus dem Mittelalter und nicht dieses London hier. Damals hat’s hier ziemlich anders ausgesehen.“ Während sie redete hatte ich wieder damit angefangen sie anzustarren und schüttelte jetzt auch ungläubig den Kopf. „Das kann nicht sein. Das geht nicht!“, flüsterte ich, eher zu mir selbst als zu ihr. Es war unmöglich, das stand fest. Aber an diesem Ort gab es viele Dinge die unmöglich waren. Auch Callie nickte zustimmend. „Schon, aber es heisst ja so schön: Nichts ist unmöglich. Und auch, wenn niemand erwarten würde, dass man es in so einer Situation sagen könnte, sagt man es.“ Das hier war aber unmöglich. Und ich wusste, dass ihr das bewusst war. „Angenommen ich hätte Recht, was würdest du als nächstes tun?“, erkundigte Callie mich mit  funkelnden Augen. Ich schüttelte den Kopf und lächelte. „Ich weiss nicht…versuchen mich in dieser Welt zu Recht zu finden, schätze ich.“ Callie stiess sich von der Wand ab, an die sie vorhin gerade noch gelehnt hatte und griff nach meiner Hand, um mich hinter ihr her, zurück in die Küche zu ziehen. „Dann machen wir das jetzt! Du wirst lernen was ein ganz normaler Mensch tut. Und als erstes gehen wir dafür einen Kaffee trinken.“ Sie musterte mich kurz. „Du brauchst noch Schuhe, eine Jacke und wir müssen etwas mit deinen Haaren machen, ansonsten starrt dich nachher jeder an.“ Sie drehte mich wieder um und zog mich in einen anderen Raum. „Das hier ist ein Bad.“, erklärte sie kurz. Dann griff sie nach einer Bürste und fuhr mir damit durch die Haare, die sie zuerst noch entwirren musste. Kurz darauf, fiel mir mein glattes, braunes Haar offen über die Schultern. „So, jetzt können wir gehen.“ Wir gingen wieder zur Tür, dort stellte sie mir Schuhe hin, ein Paar Stiefel wie man sie sonst nur zum Reiten trug. Ich schlüpfte hinein und dann noch in die Jacke, die sie mir hinhielt. „So, jetzt können wir gehen. Hier um die Ecke hat es einen Starbucks, da gehen wir jetzt hin“, erläuterte sie. „Und einfach: Benimm dich ganz normal.“ Ich nickte. Vielleicht hatte Callie ja Recht und ich war in einer anderen Zeit. Denn man hätte bestimmt, von diesen fahrenden Gefährten gehört, oder von diesem Licht, das ganz ohne Flamme leuchtete und noch von so viel anderem.
Nach einigen hundert Metern weiter, öffnet Callie eine Tür und wir betreten einen grossen Raum. „Ich bestell für dich, ok?“, fragte sie und ich antwortete mit einem Nicken. „Danke. Und…ähm ich habe nichts womit ich bezahlen könnte…“ Ich biss mir auf die Lippen. Ich kam mir gerade ziemlich blöd vor. „Ich weiss“, antwortete sie mir. „Ich werde bezahlen, das ist kein Problem.“ „Danke“, wiederholte ich. „Keine grosse Sache. Echt“, sie grinste mich an. Und dann bestellte sie und zog mich zu einem etwas erhöhten Tisch. „Hier geben sie uns unsere Kaffees“, erklärte sie mir. Ich riss die Augen auf. „Und das funktioniert? Ich meine, wird da nichts gestohlen oder so?“, fragte ich schockiert. Da sollte unheimlich viel Geld einfach so verschwinden…Doch schon streckte sie mir einen Becher hin. „Hier, aber Vorsicht, der ist heiss.“ Ich griff achtsam nach dem Becher und hielt ihn einen Moment in der Hand. Und jetzt? Die Frage musste mir im Gesicht stehen, denn Callie lachte und griff nach meinem Arm. „Komm hier ist es viel zu voll“, sagte sie und lief aus dem Café. Nach nur wenigen etwas schmaleren Strassen, stand sie an einem Tor. „Das hier ist einer der Parks. Also, es gibt kaum noch so was wie Natur und Pflanzen und so hier, also haben sie solche Parks gemacht in denen es Rasenflächen und Bäume gibt, um sich zu entspannen und so. Es gibt ganz viele. Ich komme oft hier- her“, erläuterte sie mir und deutete  zum Teich. „Wenn du weisst wo, dann gibt es einige abgelegene Orte, wo man auch mal allein sein kann, wenn es sein muss.“ Sie lächelte. „Wenn du Abstand von dem ganzen Stress hier Draussen brauchst.“ Wir setzten uns beide auf eine Holzbank und ich nahm mal probeweise einen Schluck von dem Gebräu. Es war heiss und ein wenig bitter, aber es schmeckte irgendwie einfach köstlich, auf seine ganz eigene Art. Ich hatte noch nie zuvor Kaffee getrunken. Das war ein Getränk für Männer der Mittelschicht. Und dazu gehörte ich nicht. Mir blieb ein bitterer Nachgeschmack im Mund, aber trotzdem…Kaffee war köstlich und das wurde nur noch besser durch das Gefühl von innen her, gewärmt zu werden. Ich lächelte und sah mich um. Es rannten ein paar kleine Kinder herum, obwohl es schon kälter war und einige Personen etwa in meinem Alter spazierten herum. Was mich dabei vor allem erstaune, war, dass alle, auch die Mädchen, meist blaue Hosen trugen. Und das schien für niemanden ein Problem zu sein. Ich sah zu Callie rüber, die mich mit einem leichten Lächeln auf den Lippen beobachtete. „Erzähl mir ein wenig von deiner Zeit“, bat ich sie. „Wie lebst du?“ und Callie begann zu erzählen: „Also, erstens ich bin 16 Jahre alt und lebe allein mit meinem Vater. Ich gehe jeden Tag ausser samstags und sonntags zur Schule. Für die Schule muss ich diese nützliche und hässliche Uniform anziehen. Meine Freizeit verbringe ich mit meinen Freunden, das ist völlig normal in meinem Alter. Wir gehen ins Kino einen Film schauen…das ist so was, wie ein Theaterstück einfach moderner, oder gehen einen Kaffee trinken, Kleider einkaufen, verbringen einfach Zeit miteinander und reden. Ich bin sicher ein bisschen davon kennst du. Das ist normal für mein Alter.“ Sie lächelte. „Ich kann dir das alles beibringen, wenn du willst, keine Ahnung wieso, aber ich mag dich und ich habe das Gefühl, ich muss das machen. Dir helfen und so, mein ich.“ „Das würdest du echt tun?“, fragte ich sie leise. „Hab ich ja gerade eben gesagt. Und ich meine es ernst. Man merkt ja, dass du nicht von hier bist“, erwiderte sie. Und jetzt lächelte ich, oder besser gesagt strahlte ich. Das hörte sich merkwürdigerweise wunderbar an. Es war, als wäre hier der Ort, an dem ich mir immer erträumt hatte, zu leben. Und vielleicht war nicht alles perfekt, aber es war besser als die Aussichten, die ich bei dem Herzog gehabt hätte.